Paralympisch leben

Felix Streng: „Ich habe mich nie als Behinderten gesehen“

Felix Streng: „Ich habe mich nie als Behinderten gesehen“
Foto: Felix Streng Ralf Kuckuck / DBS
28. November 2016

 Alles begann mit einer Seminararbeit in der zehnten Klasse. Danach startete Sprinter und Weitspringer Felix Streng regelrecht durch: Der mehrfache Medaillengewinner von Rio hat einen rasanten Aufstieg hinter sich – vom Spätzünder zum Paralympics-Held in nur drei Jahren. Sein nächstes großes Ziel: Die WM 2017 in London.

Termine, Termine, Termine. Fast jede Woche und jedes Wochenende. Richtung Jahresende wird gefeiert, geehrt und zurückgeblickt. Stadt, Land, Kreis, Verband, Verein – überall ist Felix Streng ein gefragter Mann. Er genießt die Aufmerksamkeit, die Anerkennung, auch die Bewunderung. Es gibt ja auch einiges zu feiern für den Sprinter und Weitspringer. Gold mit der deutschen 4x100-Meter-Staffel bei den Paralympics in Rio de Janeiro, dazu Bronze über 100 Meter und im Weitsprung. Dafür erhielt er am 1. November sogar das „Silberne Lorbeerblatt“ von Bundespräsident Joachim Gauck, die höchste Auszeichnung für sportliche Leistungen in der Bundesrepublik.

„Manchmal muss ich mich wirklich kneifen“, sagt der 21-Jährige, „irgendwie ist das alles unglaublich“. Aber schön – und ebenso verdient, weil hart erarbeitet. Trotzdem: Das Tempo, in dem der Prothesensprinter in die Weltklasse vorgestoßen ist, ist wirklich unglaublich. Drei Jahre nur hat es gedauert, bis aus dem talentierten Sportler ein Medaillengewinner wurde. „Ich habe immer viel Sport gemacht, ich hatte sicher gute Voraussetzungen“, sagt er, „die letzten vier Jahre waren aber auch sehr intensiv“.

Felix – „der Glückliche“ – ist ohne rechten Unterschenkel geboren. Er lebt mit einer Prothese seit er gehen kann. Alles ganz normal, kein Unfallschock, kein Lebenseinschnitt, keine Reha-Maßnahmen. „Ich habe mich nie als Behinderten gesehen“, sagt er.


Eine Seminararbeit war der Auslöser: Die Heimat verlassen und ab ins Leverkusener Sportinternat

Parcours, Basketball – Streng war immer aktiv auf seinen zwei Beinen. Behindertensport indes war nicht in seinem Fokus, im Gegenteil: „Es hat mich eher abgeschreckt.“ Bis er eines Tages in der zehnten Klasse eine Seminararbeit über das Thema schreiben sollte – der Wendepunkt in seinem Leben. Zur Recherche machte er sich auf nach Leverkusen, eine der Hochburgen des Behindertensports in Deutschland, trainierte mal mit bei Bayer und fiel sofort auf wegen seines großen Talents. Das war 2012. Er hatte dann drei Tage Zeit, einen Platz im Sportinternat anzunehmen, also seine Heimatstadt Coburg und das Zimmer im Elternhaus zu verlassen. „Ich habe in Leverkusen David Behre und Heinrich Popow auf dem Trainingsplatz gesehen und wusste, das will ich auch“ – also auf in ein neues Leben. Sofort, ohne zu zögern, Vollgas. Wie er eben so ist.

„Die paralympische Sportszene hat mich komplett überrascht, es ist richtig cool, wir sind wie eine große Familie“, sagt er. Streng ist deshalb auch nicht für integrative Wettkämpfe, wie sie sein Staffelkamerad Markus Rehm im Weitsprung angestrebt hat. „Wir sind eine ganz andere Sportart“, meint Streng. Eine, die auch ihre Probleme hat, bei der nicht alles nur Friede, Freude, Eierkuchen ist, das weiß er auch. Insbesondere bei der Prothetik – „ein sehr heikles Thema“. Und, verrückte Welt, die doppelt-unterschenkelamputierten Läufer seien im Vorteil. Im gemeinsam ausgetragenen 200-Meter-Lauf in Rio belegten beidseitig Amputierte die ersten fünf Plätze, ebenso über 400 Meter.  „Die Länge der Prothesen kann Vorteile bringen, und beide Beine sind gleich, das ist immer besser“, erklärt der 21-jährige Coburger, „bei mir ist es so, als würde ich mit einem Sommer- und einem Winterreifen fahren“. Ab nächstem Jahr werden die Klassen T43 und T44 getrennt, auch bei der WM vom 14. bis 23. Juli in London gibt es jeweils zwei Wettbewerbe. „Ich finde das eine gute Lösung, dann können sich die Doppelt-Amputierten auch so groß machen, wie sie wollen“, sagt Felix Streng.

In der Staffel allerdings gehen er und Markus Rehm, die beiden einseitig Amputierten, wieder gemeinsam mit den T44ern David Behre und Johannes Flohrs an den Start. London ist das große Ziel für nächstes Jahr, der Höhepunkt schlechthin in 2017, ins Grundlagentraining dafür ist Streng bereits wieder eingestiegen. Das Erfolgsquartett aus Leverkusen hat vor dem Staffel-Gold in Rio schließlich bereits den WM-Titel 2015 geholt. Diesen gilt es zu verteidigen – trotz starker Konkurrenz aus Amerika ein realistisches Ziel: Sie sind schließlich als Team die Besten der Welt, auch dafür konnten sie sich gebührend ehren und hochleben lassen. Zum Jahreswechsel und nach den ganzen Feiertagen aber hat Felix Streng nun vor allem ein Ziel: „Ich möchte jetzt mal zur Ruhe kommen.“ Nach einem für ihn herausragenden Jahr voller Eindrücke und mit unglaublichen Emotionen.