Paralympisch leben

Tokio 2020 (+1) – Schock und Chance zugleich

Para Radsportler Maximilian Jäger gelang 2019 mit Doppelsilber bei der WM in den Niederlanden endgültig der Durchbruch in seiner Startklasse. In der verlängerten Vorbereitung durch die Verlegung der Paralympics sieht er einen positiven Nebeneffekt und träumt weiter vom Ticket nach Tokio.
Tokio 2020 (+1) – Schock und Chance zugleich
Maximilian Jäger Foto: Oliver Kremer, sports.pixolli.com
19. November 2020

„Auf dem Sprung zu den Paralympics in Tokio – vor vier Jahren in Rio war das noch undenkbar“, sagt Maximilian Jäger. Es sind die Worte eines jungen, aufstrebenden Para Sportlers, die angesichts seiner rasanten Entwicklung nicht weit hergeholt klingen. Die Spiele in Brasilien verfolgte der Unterfranke damals noch als Teilnehmer des Paralympischen Jugendlagers. Dass der 20-Jährige nun kurz davorsteht, als Teil des Team Deutschland Paralympics nach Japan zu reisen, ist „wirklich unglaublich und das Ergebnis glücklicher Zufälle und harter Arbeit“, erklärt der Dreiradfahrer. Ohne das Ticket für Tokio endgültig gelöst zu haben, sieht er den Paralympics schon jetzt mit ambitionierten Zielen entgegen: „Ich habe auf jeden Fall das Podium im Auge, sowohl beim Zeitfahren als auch beim Straßenrennen.“

Ausbremsen könnte Jäger auf dem Weg nach Tokio eigentlich nur noch der Wechsel in eine andere Startklasse. Dass dies so kommen wird, hält der 20-jährige Athlet trotz ausstehender Reklassifizierung allerdings für sehr unwahrscheinlich. „Ich bin sehr guter Dinge, dass ich meiner Startklasse erhalten bleibe. Aufgrund meiner Behinderung kann ich nur schwer das Gleichgewicht halten. Ich bin daher in der Startklasse T1 perfekt aufgehoben.“

Ein Multitalent auf der Suche nach dem sportlichen Zuhause

Während seiner noch jungen Sportler-Laufbahn durfte Maximilian Jäger, der aufgrund eines vorgeburtlichen Schlaganfalls halbseitig gelähmt ist, bereits ungewöhnlich vielseitige Erfahrungen sammeln – zunächst im Schnee. „Wir waren damals bei einer Orthesen-Firma“, erinnert er sich zurück. „Meine Eltern und ich haben mitbekommen, dass der DBS einen Sichtungslehrgang für den Para Ski alpin-Nachwuchs angeboten hat. Nach der Teilnahme war ich total begeistert und habe gleich losgelegt“, berichtet Jäger. Bereits ein Jahr später nahm der damals Neunjährige an seinem ersten offiziellen Rennen teil. Bis zur Saison 2017/18 folgten noch viele weitere, wobei Jäger sogar einige Podiumsplätze bei deutschen Meisterschaften erreichte.

In den Sommermonaten suchte sich das junge Multitalent einen Ausgleich im Wasser beim Para Kanu und startete bei regionalen Meisterschaften in Unterfranken. Wem er diese aufregende Kindheit und Jugend zu verdanken hat, weiß er genau: „Meine Eltern waren immer meine größten Unterstützer. Sie haben mich wann immer es ging zu sämtlichen Wettkämpfen und Lehrgängen gefahren und waren dabei an meiner Seite. Ohne sie hätte ich das alles gar nicht machen können.“ Dass seine sportliche Zukunft auf der Straße statt im Schnee oder auf dem Wasser liegen sollte, war jedoch auch für seine Eltern lange Zeit nicht abzusehen.

„Von der Statur her bist du ein Radfahrer!“

Den Weg zum Para Radsport fand Jäger durch eine zufällige Begegnung mit dem fünfmaligen Paralympics-Sieger und bayerischen Para Radsport-Landestrainer Michael Teuber. Kurz nach den Paralympics 2016 trafen sich die beiden bei einer Sportlerehrung, bei der auch die Teilnehmer*innen des Paralympischen Jugendlagers anwesend waren. „Von der Statur her bist du ein Radfahrer“, sagte Teuber damals zu Maximilian Jäger, ohne zu wissen, welchen Sport dieser ausübt. Der Rest ist Geschichte: Jäger wurde gesichtet und an den bundesweit einzigen Trainingsstützpunkt für Renndreirad-Fahrer in Cottbus verwiesen. Dort überzeugte er Stützpunkttrainer Reneé Schmidt auf Anhieb.

Seit August 2018 ist Jäger nun in Cottbus und besucht dort das Internat der Lausitzer Sportschule – perfekte Bedingungen für eine erfolgreiche Radsport-Karriere. „Die Voraussetzungen hier sind optimal, sowohl für mein Training als auch für die Schule. Alles ist innerhalb kürzester Wege erreichbar“, schwärmt der junge Para Sportler, der für seinen Traum von den Paralympics fernab seiner bayerischen Heimat einiges auf sich nimmt. Nach der Schule trainiert der 20-Jährige nahezu täglich. Danach sind die Hausaufgaben an der Reihe. „Das Internat, Schule und Sport kooperieren eng miteinander. Wenn beispielsweise die schulischen Leistungen nicht mehr stimmen, wird das Training heruntergefahren“, erklärt Jäger, der dem Paralympicskader des Deutschen Behindertensportverbands angehört. 

Corona: Wenige Einschränkungen beim Training, Paralympics-Verlegung auch mit Vorteilen

Abgesehen von einer Maskenpflicht an der gesamten Schule schränkt den jungen Para Athleten die Covid-19-Pandemie kaum ein. „Mein großes Glück ist, dass ich als Radsportler draußen an der frischen Luft trainieren kann“, sagt Jäger in dem Wissen, dass Athlet*innen aus anderen Sportarten mit mehr Restriktionen leben müssen. Doch auch ihn trafen die Corona-Einschränkungen im Frühjahr dieses Jahres: „Kurz vor dem Lockdown im März war ich im Trainingslager auf Lanzarote. Dort mussten wir dann schnell die Zelte abbrechen und nach Hause fliegen. Vom Flughafen in Berlin ging es dann über einen kurzen Zwischenstopp in Cottbus nach Bad Brückenau, wo ich die kommenden Monate bis Anfang Mai in der Heimat trainiert habe, weil die Schule geschlossen wurde.“

Inzwischen trainiert Jäger wieder in Cottbus. Hier bleibt trotz der beunruhigenden Situation durch die Pandemie keine Zeit für Heimweh: „Ich habe hier meine Routine – da kommt so etwas gar nicht erst auf. Außerdem habe ich hier super Anschluss gefunden.“ Auch wenn ihn die Corona-Pandemie bis dato nur selten im Alltag einschränkte, so ließ sie dennoch – zumindest übergangsweise – den großen Traum von Tokio 2020 platzen. 

„Die Absage der Paralympics in diesem Jahr war mental ein riesiger Einschnitt. Als Sportler trainierst du jahrelang auf dieses Event hin. Da bricht natürlich erst einmal eine kleine Welt zusammen“, berichtet der 20-Jährige. Allerdings sei es für ihn Schock und Chance zugleich gewesen. „Für mich persönlich hat die Verlegung den positiven Nebeneffekt, dass ich mich noch besser vorbereiten kann. Ich bin davon überzeugt, dass ich dadurch im nächsten Jahr noch stärker bin“, betont Jäger. Sollte ihm die internationale Reklassifizierung keinen unerwarteten Strich durch die Rechnung machen, wird es spannend zu beobachten sein, ob der Doppel-Vizeweltmeister von 2019 seine Erfolge bei den Paralympics in Tokio bestätigen oder sogar übertreffen kann.

Unabhängig davon spricht vieles für eine erfolgreiche Zukunft des Renndreirad-Fahrers. Das sieht auch Para Radsport-Bundestrainer Tobias Bachsteffel so: „Wenn Maximilian weiterhin so ehrgeizig und fokussiert an sich arbeitet, steht einer erfolgreichen sportlichen Entwicklung mit vielen Podiumsplatzierungen nichts im Wege, wobei die Konkurrenz sehr groß ist.“ Auch mit Blick auf dessen Charakter hat Bachsteffel eine hohe Meinung von seinem Schützling, mit dem er sich regelmäßig austauscht: „Maximilian ist ein sehr zuvorkommender und sympathischer Junge, der für sein junges Alter bereits sehr aufgeschlossen ist.“ Damit dies in Zukunft so bleibt, ist Jäger bemüht, seine egoistische Seite, die er im Sport häufig zeigen muss, im Privatleben abzulegen. „Im Rennen denke ich immer nur an mich und fokussiere mich auf den größtmöglichen Erfolg. Im Privatleben hingegen möchte ich hilfsbereit sein“, sagt Maximilian Jäger.

Traumberuf: Lehrer-Trainer

Auch in Bezug auf seine berufliche Karriere hat der Para Sportler des BPRSV Cottbus bereits genaue Vorstellungen: „Ich bin momentan in der elften Klasse und habe mir vorgenommen, sie gut abzuschließen. Danach möchte ich erst Fachabitur und dann Abitur machen, um Lehramt studieren zu können. Denn ich möchte als Lehrer-Trainer irgendwann das weitergeben, was ich erlebt habe und so den Para Sport-Nachwuchs motivieren“, sagt ein Athlet, der noch am Anfang seiner sportlichen Karriere steht. Dass es sich bei all diesen Plänen noch um Zukunftsmusik handelt, ist Jäger bewusst. Zunächst einmal stünden die Paralympics in Tokio für ihn im Fokus. Und so träumt er bereits jetzt von einer Teilnahme am weltweit größten Sportevent für Menschen mit Behinderung: „Bei den Paralympics dabei sein zu dürfen, wäre eine absolute Ehre und würde mich sehr stolz machen. Ich würde mich einfach auf alles sehr freuen.“