„Unsere Reise fängt gerade erst an!“

Wenn Regine Mispelkamp im Sattel sitzt, dann ist sie in einer anderen Welt. „Auf dem Pferd schaffe ich es, alle Herausforderungen und vor allem meine Krankheit auszublenden“, erklärt die 51-Jährige. Hoch zu Ross hat sie aber noch weitaus mehr geschafft, als sich mit der Diagnose Multiple Sklerose zu arrangieren. Bei den Paralympics 2021 gewann die Para Dressurreiterin die Bronzemedaille in der Kür. Und holte sich damit enormen Rückenwind für neue Wege und weitere große Ziele. Mit dem deutschen Meistertitel 2022 hat sie nun Anlauf genommen für die WM vom 10. bis 14. August im dänischen Herning.

Regine Mispelkamp mit ihrer Bronzemedaille bei der Siegerehrung in Tokio
Regine Mispelkamp Foto: Mika Volkmann / DBS
08. August 2022

Dabei hat Regine Mispelkamp vor beinahe fünf Jahrzehnten – wie so viele andere Reiter*innen – einmal ganz klein angefangen. Bereits im Alter von drei Jahren saß Regine Mispelkamp auf dem Pferd. Durch ihre Eltern hatten sie und ihre zwei Jahre ältere Schwester schon früh Kontakt zu Pferden. Die Leidenschaft für das Reiten war im Nu geweckt. Was folgte, war ein kontinuierlicher Weg Richtung Erfolg – zunächst jedoch im Springreiten. Im Alter von acht Jahren bestritt sie die ersten Turniere. Durch die Unterstützung unter anderem von internationalen Top-Reitern, wie Paul Schockemöhle, Franke Sloothaak und Ludger Beerbaum, ritt sie in den 1990er Jahren zu Turniererfolgen bis Klasse S und nahm an Landesmeisterschaften teil.

Nach dem Abitur absolvierte sie zunächst eine Ausbildung zur Medizinisch Technischen Assistentin – um „etwas Vernünftiges“ zu machen, wie es landläufig hieß. Doch die Reiterei war es, die Regine Mispelkamp schließlich zu ihrer Berufung machte. 1997 ging die Pferdewirtin mit einem eigenen Turnier- und Ausbildungsstall den Schritt in die Selbständigkeit, schloss 2000 die Prüfung zur Pferdewirtschaftsmeisterin und 2012 das Studium zur Diplom-Trainerin an der DOSB-Trainerakademie in Köln ab. Den Weg vom Spring- zum Dressursport vollzog sie, nachdem sie ein Pferd in ihren Stall bekommen hatte, das für das Springreiten nicht talentiert genug war. Es weckte ihren Ehrgeiz, es für die Dressur auszubilden.

Gelernt, kleine Dinge zu genießen

Soweit lief alles glatt im Leben der Geldernerin. Bis 2013 die Diagnose Multiple Sklerose über sie hereinbrach – vollkommen unvorbereitet nach einem von mehreren Bandscheibenvorfällen. „Ich wollte das gar nicht wahrhaben und habe erst einmal versucht, das zu verstecken. Eigentlich hat sich zunächst auch gar nicht so viel verändert. Ich habe einfach weitergemacht. Auch der Arzt meinte, ich soll vor allem weiter reiten“, erinnert sich Regine Mispelkamp. So hat sie ihren Körper fit gehalten, musste aber besonders in den ersten Jahren nach der Diagnose mit vielen Krankheitsschüben zurechtkommen. „Ich habe daraufhin Vieles in meinem Leben umgestellt, habe mich von meinem Mann getrennt, meine Ernährung umgestellt und vor allem meinen Anspruch an mich selbst reduziert. Ich habe gelernt, vor allem die kleinen Dinge zu genießen und mein Leben bewusster wahrzunehmen“, erzählt sie. So macht es sie nicht nur glücklich, auf dem Rücken der Pferde zu sitzen und zu unterrichten, sondern auch viel Zeit mit ihrer jungen Rhodesian-Ridgeback-Hündin zu verbringen.

Doch sich einzugestehen, dass sie an Multiple Sklerose erkrankt ist und damit an die Öffentlichkeit zu gehen, war für die lebenslustige Reiterin ein extrem schwerer Schritt. „Ich habe den Para Sport lange von mir ferngehalten und wollte mich damit einfach nicht auseinandersetzen. Denn es hätte auch eine Auseinandersetzung mit mir selbst und meiner Krankheit bedeutet. Und das fiel mir einfach schwer.“ 2018 schließlich ging sie diesen Weg dann doch – auch durch die Unterstützung ihrer Heimtrainerin Silke Fütterer-Sommer sowie Trainerin Ulrike Nivelle.

Klassifiziert in den Grade V wurde sie damals mit ihrem Rheinländer Look At Me Now noch im gleichen Jahr deutsche Meisterin Para Dressursport und startete bei den Weltreiterspielen in Tryon, USA. Dort gewann sie Bronze mit dem Team und in der Einzelwertung. „Der Sprung in den Para Sport war für mich extrem anstrengend, aber ich war vor allem durch das tolle Ergebnis froh, meine Ängste überwunden zu haben. Er war einfach die Bestätigung für mich, weiter diesen Weg zu gehen“, sagt Regine Mispelkamp, die dem Paralympicskader (PAK) des Deutschen Behindertensportverbandes angehört.

Künftig ausschließlich im Para Sport aktiv zu sein, kommt für die Athletensprecherin aber selbst nach der Bronzemedaille, die sie bei ihrer Paralympics-Premiere in Tokio für ihre Kür gewonnen hat, nicht in Frage. Sie möchte weiterhin sowohl im Regelsport als auch im Para Dressursport unterwegs sein. „Der Vorteil ist, dass ich durch meinen Beruf im Regelsport auch weiterhin meine Existenz sichern kann. Und wenn ich zweigleisig fahre, habe ich viel mehr Turniere und bleibe dadurch stärker im Prüfungsmodus. Die Abläufe, der Fokus auf die Übungen, die Vorbereitung – all das wird mehr und mehr zur Routine und gibt mir Sicherheit“, betont sie. Darüber hinaus nährt der Regelsport mehr als alles andere ihren Anspruch, noch schwierigere Übungen zu reiten. Im Para Sport hingegen „bin ich viel pingeliger und hinterfrage mich mehr“, wie sie sagt.

Auf dem richtigen Weg

Vielleicht ist all das der Grund dafür, dass Regine Mispelkamp für die anstehenden Weltmeisterschaften in Dänemark Veränderungen vorgenommen hat. „Wir haben die Kür aus Tokio, die ich mit meinem zweiten Pferd Highlander Delight's geritten bin, umgestellt und etwas schwieriger gemacht“, verrät sie. Nicht nur dadurch hält sie eine Einzelplatzierung zwischen eins und vier für durchaus realistisch. Und für das Team? „Wir wollen uns auf jeden Fall jetzt schon für die Paralympics 2024 in Paris qualifizieren. Dafür müssen wir uns auf den Plätzen eins bis sieben einsortieren bzw. acht, wenn Frankreich als Gastgeberland der Paralympics vor uns liegt. Sollte das nicht auf Anhieb klappen, müssten wir noch andere Turniere reiten und dafür viel reisen. Das möchten wir besonders den Pferden gern ersparen.“

Mit Blick auf Paris möchte Regine Mispelkamp vor allem eines: Mit ihrem Dunkelfuchs Higlander Delight's eine Symbiose finden und diese aus dem Training in die Prüfung übertragen. „Light's hat immer noch so seine Flausen im Kopf, aber wenn seine Entwicklung so weitergeht, wie bisher, haben wir auf jeden Fall das Potenzial, ganz oben zu stehen.“ Das wäre einmal mehr eine Bestätigung dafür, dass sie gegen einige Widerstände mit diesem Pferd die richtige Wahl getroffen hat. „Tokio hat gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir sind dadurch beide reifer geworden und es macht einfach Spaß“, betont Regine Mispelkamp und fügt an: „Unsere gemeinsame Reise fängt gerade erst an.“ Mit der durch die paralympischen Bronzemedaille gewonnenen inneren Ruhe einerseits sowie durch die gestiegene öffentliche Aufmerksamkeit andererseits sollte diese Reise einen spannenden Verlauf nehmen.

Quelle: Heike Werner

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