WM

Am Beckenrand gibt’s auch mal Zoff

Para Schwimmen: Verena Schott ist zweifache Mutter und Leistungssportlerin, die von ihrem Lebensgefährten trainiert wird – Bei der WM in London kehrt sie an die Stätte ihres größten Triumphs zurück, mit den Paralympics hat sie noch eine Rechnung offen.
Am Beckenrand gibt’s auch mal Zoff
Foto: © Oliver Kremer/ DBS
04. September 2019

Ganz verdaut hat Verena Schott die Paralympics in Rio 2016 noch nicht. Zweimal innerhalb von 24 Stunden schwamm die 30-jährige Potsdamerin auf Rang vier und verpasste das Podium nur ganz knapp. Doch aus der Enttäuschung wurde neue Motivation. Bei den Weltmeisterschaften im Para Schwimmen in London (9. bis 15. September) kehrt die zweifache Mutter, deren Lebensgefährte gleichzeitig ihr Trainer ist, an den Ort des größten Erfolgs ihrer Karriere zurück.

Sieben Jahre ist es her, da jubelte Verena Schott bei ihrer Paralympics-Premiere über Silber. Mit 23 Jahren schwamm die seit einem Fahrradunfall 2002 querschnittgelähmte Athletin über 200 Meter Lagen auf Platz zwei. „Paralympics-Silber bedeutet mir noch mehr als mein WM-Titel 2015“, sagt Schott. Entsprechend fiebert sie den Wettkämpfen im imposanten Aquatics Centre entgegen. Dass es überhaupt dazu kommt, liegt an Malaysias Regierung, die keine israelischen Athletinnen und Athleten zur ursprünglich in Kuching geplanten WM einreisen lassen wollte. Folgerichtig entzog das Internationale Paralympische Komitee Malaysia die Titelkämpfe und fand mit London einen attraktiven neuen Veranstaltungsort.

„Ich habe mich mega gefreut, dass London die WM ausrichtet. Ich verbinde tolle Erinnerungen mit der Halle. Außerdem sind die Briten beim Para Sport ganz vorne dabei“, betont Schott, die vergeblich versuchte, noch Eintrittskarten für einzelne Wettkampftage zu erhalten. „Keine Chance, die Halle ist ausverkauft“, berichtet die Potsdamerin. Das verspricht eine außergewöhnliche Stimmung – typisch britisch eben.

 

Manchmal kommen die beiden Söhne auch mit ins Trainingslager nach Lanzarote

Verena Schott reist mit acht weiteren Athletinnen und Athleten der Nationalmannschaft direkt vom Trainingslager in Lanzarote nach London. Lanzarote ist so etwas wie die zweite Heimat. Rund fünfmal im Jahr feilt sie hier an ihrer Form. „Die Bedingungen sind einfach super. Wir haben immer eine reservierte Bahn, es gibt einen Kraftraum und wir können auch andere Sportkurse belegen, um neue Reize zu setzen. Dazu kann man besser regenerieren als zuhause im Alltag“, berichtet Schott. Immer mit dabei: ihr Lebensgefährte und Trainer Maik Zeh. Auch die beiden vier und acht Jahre alten Söhne treten hin und wieder die Reise nach Lanzarote mit an. „Wir machen dann im Hotel die Hausaufgaben für die Schule und ich spiele mit den Kindern Badminton, Tennis oder Squash. Das sind gute Konditionseinheiten, denn ich werde ordentlich gescheucht“, erzählt die 30-Jährige lachend.

Bei der unmittelbaren WM-Vorbereitung sind die Kids jedoch nicht mit vor Ort. „Jetzt gilt es, sich richtig zu fokussieren. Die Jungs sind bei den Omas und Opas. Da sind alle eingespannt“, sagt Schott. Zuletzt plagten sie allerdings schmerzhafte Schulterprobleme. „Vor ein paar Wochen hätte ich nicht gedacht, bei der WM überhaupt schwimmen zu können.“ Inzwischen hat es sich gebessert, die Schmerzen sind weniger geworden, jetzt muss noch der Kopf mitspielen. „Ich habe Angst, die falsche Bewegung zu machen. Aber das bekomme ich bis zur WM bestimmt in den Griff. Die Betreuung in Lanzarote ist super, nach jeder Einheit geht’s direkt zur Physiotherapie“, erklärt Schott, die dem Top Team des Deutschen Behindertensportverbandes angehört.

Für die flexible Schwimmerin stehen in London zahlreiche Starts auf dem Programm, ihre Lieblingsstrecken sind die 100 Meter Rücken, 100 Meter Brust und 200 Meter Lagen. Und wie stehen die Medaillenchancen? Sie werde auch aufgrund der Schulterprobleme im Vorfeld ohne zu hohe Erwartungen nach London reisen, wolle es ganz entspannt angehen, sagt Verena Schott. Zumal weniger als ein Jahr vor den Paralympics in Tokio die komplette Konkurrenz vor Ort sein wird und auch die russischen Schwimmerinnen und Schwimmer wieder mit dabei sind. „Das wird ein interessantes Kräftemessen. Ich bin sehr gespannt“, sagt die Athletin vom BPRSV Cottbus.

In Rio dreimal knapp am Podium vorbei: „Bittere Momente, die mir aber auch Ansporn gegeben haben

Mit Blick auf die Spiele 2020 sei ihr klar, dass sie sich steigern müsse. „Ich bin sehr ehrgeizig und will mich immer weiter verbessern“, betont Schott. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Maik Zeh tüftelt sie an vielen Details, um noch schneller zu werden. Ab und an will die Athletin Schott jedoch mehr, als der Trainer Zeh für sinnvoll befindet. „Dann schimpft er mit mir. Zudem bin ich ein sehr impulsiver Mensch und sage offen, wenn mir etwas nicht passt. Dann gibt’s auch mal Zoff am Beckenrand“, sagt sie schmunzelnd und fügt an: „Das ist doch ganz normal, das legt sich dann aber auch wieder.“ Manchmal sei es sehr lustig, vom Lebensgefährten trainiert zu werden, manchmal aber auch anstrengend. „Doch insgesamt ist es gut so, wie es ist“, betont Schott.

Mit 30 Jahren ist sie die zweitälteste Athletin im 15-köpfigen und sehr jungen deutschen WM-Aufgebot. „Zuhause habe ich zwei Kinder, in der Nationalmannschaft sind es dann noch einige mehr“, sagt Schott lachend. „Wir haben einen guten Mix im Team, es macht großen Spaß. Natürlich ist es auch meine Aufgabe als erfahrene Athletin, den Jüngeren mal die Hand zu reichen und sie zu unterstützen.“

Beim Gedanken an die Paralympics in Tokio fallen Schott vor allem zwei Dinge ein: der Flug und Sushi. „Ich hasse das Fliegen, aber ich liebe Sushi.“ Mit den sportlichen Zielen wolle sie sich erst nach der WM in London beschäftigen – wenn überhaupt. „Die Ziele sollen die Trainer formulieren. Ich mache lieber mein Ding und schaue dann, was dabei herauskommt.“ An den Ergebnissen von Rio, als sie bei ihrer zweiten Paralympics-Teilnahme trotz persönlicher Bestzeiten zweimal als Vierte und einmal als Fünfte knapp die Medaillen verpasste, hat die 30-Jährige noch immer etwas zu knabbern. „Das verfolgt mich schon noch und ich rede ungern darüber. Das waren ganz bittere Momente, die mir aber auch Ansporn gegeben haben. Ich habe daraus neue Motivation gezogen, statt in ein tiefes Loch zu fallen.“ Mit Angriffslust geht’s nach London und Tokio – und dann mal schauen, was herauskommt.