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„Wir fliegen nach Tokio, weil wir Gold gewinnen möchten"

Goalball: Nach Corona-Pause und Paralympics-Verschiebung hat die deutsche Nationalmannschaft den ersten gemeinsamen Lehrgang absolviert – und mit Blick auf die Spiele in Japan die Ziele geschärft
„Wir fliegen nach Tokio, weil wir Gold gewinnen möchten"
Foto: © Binh Truong / DBS
22. Juni 2020

Während Oliver Hörauf in der heimischen Einfahrt bei Würfen auf Baumstämme und umgekippte Bänke an seiner Technik feilte, arbeitete Michael Feistle an Kraft und Athletik – und hatte drei Monate lang keinen Goalball in den Händen. So unterschiedlich sich die Situation in der jüngeren Vergangenheit infolge der Corona-Pause gestaltete, so groß war bei den beiden deutschen Goalball-Nationalspielern und ihren Teamkollegen die Vorfreude auf den ersten gemeinsamen Lehrgang. In Deutschlands Olympischem und Paralympischem Trainingszentrum in Kienbaum trafen sich die Europameister von 2019 und schwörten sich auf die neue „Road to Tokyo“ ein.

„Ein paar Jungs sind durch Corona und Paralympics-Verschiebung erstmal in ein kleines Loch gefallen. Doch nach der Zwangspause hatte jeder richtig Lust und hat sich gefreut, dass es wieder losging“, berichtet Cheftrainer Johannes Günther. Dabei verliefen die vergangenen Monate völlig anders als geplant. Eigentlich war der Weg bis nach Tokio durchgetaktet, unter anderem hätte über Ostern bereits ein Trainingslager in Japan stattgefunden. Dann kam die Corona-Pandemie und die Verlegung der Paralympics auf den 24. August bis 5. September 2021. „Ohne Halle und ohne Mitspieler war kein Goalball mehr möglich. Da lautete das Motto: Irgendwie fit halten und abwarten, wie es weiter geht“, erklärt Michael Feistle. Doch Deutschlands Goalballer machten das Beste aus der schwierigen Situation und zogen die positiven Aspekte daraus. „Ein Jahr mehr Vorbereitung ist für uns ein Geschenk“, sagt Feistle und fügt an: „Im Vergleich zu anderen Nationen sind wir auf dem Weg nach oben und noch nicht an unserem Limit angekommen. Wir haben somit mehr Zeit, um an unseren Schwächen zu arbeiten und noch besser zu werden.“ Eine Kampfansage an die Kontrahenten aus anderen Nationen, allen voran Weltmeister Brasilien.

„Bei der EM 2019 waren wir die abgezockteste Mannschaft“

So trainierte die Mannschaft beim ersten Wiedersehen in Kienbaum nicht nur Würfe und Kraft, sondern schmiedete auch neue, ehrgeizige Pläne und schärfte mit Blick auf die Paralympics die Ziele. „Wir haben uns alle zusammengesetzt und sind uns einig, dass wir die Chance haben, ganz vorne zu landen, wenn wir das zusätzliche Jahr gut nutzen und akribisch arbeiten. Wir fliegen nach Tokio, weil wir Gold gewinnen möchten“, betont Johannes Günther. Daran müsse man sich im Nachhinein auch messen lassen. „Doch wir haben das Potenzial dazu. Warum sollten wir dann vorher tiefstapeln?“, fragt der Cheftrainer. Bei der Europameisterschaft in Rostock ging der Plan auf. Die deutschen Goalballer jubelten über den Titel und erreichten damit ihr selbstgestecktes Ziel – wenngleich das Team auf dem Weg dorthin manch knappes Duell mit Glück und Geschick für sich entschied. „Wir waren bei der EM vielleicht nicht die offensivstärkste, aber die abgezockteste Mannschaft. Das hat uns bestimmt auch nachhaltig einen Schub gegeben und wir haben an Reife hinzugewonnen“, sagt Michael Feistle.

Stillstand ist bekanntlich Rückschritt – und  kommt für Deutschlands Goalballer nicht in Frage. Trainerteam und Spieler arbeiten akribisch an der Entwicklung und dem großen Traum. Gemeinsam mit dem Teampsychologen, der die Mannschaft seit rund einem Jahr mit begleitet, haben sie sich ein passendes Motto erarbeitet. Dieses lautet „Kaizen“, eine japanische Lebens- und Arbeitsphilosophie, die das stetige Streben nach Verbesserung vermittelt. Dieses Bestreben verkörpert das deutsche Team bereits seit einigen Jahren – und die Belohnung dafür soll Paralympics-Gold in Japan werden. „Wir haben noch Verbesserungspotenzial und wollen auch die letzten Prozentpunkte herausholen“, sagt Feistle.

Daran wurde beim Lehrgang in Kienbaum intensiv gearbeitet. Würfe, Kraft- und mentales Training standen im Wechsel auf dem Programm. Das obligatorische Abschlusspiel war hingegen aufgrund der Abstandsregelungen noch nicht möglich, soll aber beim kommenden Trainingslager im hessischen Kirchheim am Wochenende nachgeholt werden. „Dann werden wir den Schwerpunkt vermehrt auf das Spielerische legen“, verkündet Johannes Günther. Der Startschuss auf der neuen „Road to Tokyo“ ist damit erfolgt. Jetzt wollen die deutschen Goalballer wieder Fahrt aufnehmen. „Die Technik war nach drei Monaten Pause etwas eingerostet, aber es juckt wieder richtig in den Fingern. Wir werden das wieder aufholen und intensiv arbeiten“, sagt Michael Feistle. Schließlich hat die Mannschaft mit Blick auf die Paralympics in Tokio im kommenden Jahr ein großes Ziel.