WM

„Wir bleiben die Wundertüte“

Rollstuhlcurling-WM: Die Paralympics in PyeongChang sind noch sehr präsent, da geht es bei der Weltmeisterschaft in Schottland für Wolf Meißner und Co. schon wieder um die ersten Qualifikations-Punkte für die Spiele 2022
„Wir bleiben die Wundertüte“
Foto: © Ralf Kuckuck / DBS
27. Februar 2019

Die Paralympics in PyeongChang vor einem Jahr sind bei Wolf Meißner noch in bester Erinnerung. „Das war Weltklasse, ein super Erlebnis“, sagt der Rollstuhlcurling-Nationalspieler aus Offenbach. Doch der Blick richtet sich längst auch wieder nach vorne. Denn in Stirling (Schottland) findet vom 3. bis 10. März die Rollstuhlcurling-Weltmeisterschaft statt – und da geht es neben Medaillen bereits um wichtige Punkte für die Qualifikation für Peking 2022.

Die Paralympics in drei Jahren hat auch Wolf Meißner ins Visier genommen. „Das Ziel ist es, 2022 nochmal dabei zu sein“, betont der 49-Jährige und fügt an: „Dafür müssen bei der WM möglichst viele Siege her.“ Die Rechnung ist einfach: Je mehr Siege und je besser die Platzierung, desto mehr Punkte landen auf der Habenseite für die Paralympics-Qualifikation. Und diese Punkte werden eben ausschließlich bei der jährlich stattfindenden Weltmeisterschaft verteilt. Umso größer war auch das Aufatmen beim deutschen Team, als die Entscheidung getroffen wurde, die Anzahl an teilnehmenden Nationen bei der Weltmeisterschaft von zehn auf zwölf zu erhöhen. „Eigentlich waren wir bei der WM 2017 sportlich abgestiegen, doch durch die Aufstockung sind wir trotzdem noch bei der A-Weltmeisterschaft vertreten“, erklärt Meißner.

Dass die Mannschaft durchaus mit der Weltspitze mithalten kann, bewies sie nicht nur bei den Paralympics 2018. Zwischenzeitlich begeisterte das Team und war sogar auf Halbfinalkurs, ehe eine Niederlagenserie die Träume platzen ließ. Am Ende sprang ein respektabler achter Platz heraus – nur ein Sieg mehr und es wäre Rang fünf gewesen. „An guten Tagen können wir jeden schlagen. Häufig fehlt es nur an Kleinigkeiten – doch die sind auf diesem Niveau entscheidend“, sagt Meißner und ergänzt: „Es ist wie bei den Paralympics: Wir bleiben eine Wundertüte.“

So präsentierte sich die Nationalmannschaft auch bei den Vorbereitungsturnieren in diesem Winter mit Höhen und Tiefen. Überraschende und überzeugende Siege wechselten mit ärgerlichen Niederlagen – und oft schwingt das Gefühl mit, dass dieses Team durchaus noch mehr erreichen könnte. „Wenn wir alle super spielen, dann können wir auch was reißen“, sagt Wolf Meißner. Doch im Curling könne immer alles passieren. „Und der Kopf spielt eine große Rolle.“

Um den Kopf freizubekommen, war der querschnittgelähmte 49-Jährige im Anschluss an ein Turnier in Schottland und vor dem Abschlusslehrgang noch ein paar Tage auf Sylt, die Seele baumeln lassen. Im Rollstuhlcurling ist Meißner seit 2011 aktiv, dazu spielt er Rollstuhltischtennis. „Ich war vor einigen Jahren auch mal in der Nationalmannschaft und war bei einer Rollstuhltischtennis-EM vertreten. Jetzt mache ich es nur noch zum Spaß, bin zudem Übungsleiter beim RSC Frankfurt, habe aber durch Job und Curling kaum noch Zeit dazu“, berichtet der Offenbacher.

Bei den Paralympics fieberte ein Millionenpublikum beim „Schach auf dem Eis“

Beruflich hat Wolf Meißner als Reha-Techniker viel mit anderen Rollstuhlfahrern zu tun. Entsprechend groß war die Resonanz besonders rund um die Paralympics 2018. „Ich habe so viele Anfragen über die sozialen Medien erhalten und es hat sich ein richtiges Interesse am Rollstuhlcurling entwickelt.“ Das deutsche Team machte in Südkorea Werbung für eine zuvor noch sehr unbekannte Sportart. So fieberte teils ein Millionenpublikum vor dem TV beim „Schach auf dem Eis“ mit. „Diese Aufmerksamkeit hat es so noch nie gegeben, das war super für unseren Sport“, sagt Meißner.

Zusammen mit dem inzwischen zurückgetretenen Nationalmannschaftskollegen Martin Schlitt organisierte er ein Schnuppertraining. „Neun Personen haben teilgenommen und vier sind heute immer noch dabei“, berichtet Wolf. Besonders erfreulich: Mit Melanie Kurth wird eine davon als fünfte Spielerin mit zur WM nach Schottland reisen.

Das Stamm-Quartett bilden Christiane Putzich (CC Füssen), Harry Pavel (CC Schwenningen), Heike Melchior (CC Eintracht Frankfurt) und eben Wolf Meißner. Gecoacht wird die Mannschaft vom neuen Bundestrainer Helmar Erlwein, der die Nachfolge von Bernd Weißer angetreten hat – und auch dessen Vorgänger war. Erlwein hat sich für die WM bereits ein festes Ziel gesetzt: „Wir wollen den Klassenerhalt schaffen, um weiterhin in der Gruppe A starten zu können.“ Dafür müsste mindestens der neunte Platz bei der Weltmeisterschaft herausspringen. Keine selbstverständliche, aber machbare Aufgabe.

Beim Abschlusslehrgang in Füssen wurde noch einmal am Feinschliff gearbeitet, so dass die Mannschaft gut vorbereitet nach Schottland reist. „Aber letztendlich kommt es auf die Umsetzung auf dem Eis an. Bei der WM wird die Leistung von jedem einzelnen Athleten gefordert sein“, betont Erlwein. Im Anschluss daran hofft der Bundestrainer, sein Team mit dem erreichten Klassenerhalt im Rücken entwickeln zu können. „Dann haben wir erneut ein Jahr Zeit, um weiter an uns zu arbeiten.“ Und vielleicht können dann für die WM 2020 andere Ziele gesteckt werden – auch schon mit Blick auf die Paralympics in Peking 2022.

Die Rollstuhlcurling-Weltmeisterschaft findet vom 3. bis 10. März in Stirling (Schottland) statt. Hier gibt es weitere Informationen rund um die WM.