Paralympisch leben

„Die WM ist das wichtigste Rennen der letzten Jahre“

Para Radsport-WM: Polizist Matthias Schindler hat in dieser Saison seinen ersten Weltcup-Sieg im Zeitfahren gefeiert, 2020 will er bei den Paralympics an den Start gehen.
„Die WM ist das wichtigste Rennen der letzten Jahre“
Foto: Matthias Schindler Oliver Kremer, sports.pixolli.com
09. September 2019

Matthias Schindler ist Polizist. Seit einer Operation im Februar 2011 zur Entfernung eines Rückenmarktumors ist er inkomplett querschnittsgelähmt. In seiner Jugend eher dem Fußball zugetan, entdeckte Schindler den Para Radsport für sich und nahm 2013 an ersten Rennen teil. Er tritt in der Klasse C3 an und arbeitet weiterhin im Innendienst bei der bayerischen Polizei.

2014 feierte Schindler seine WM-Premiere und nahm in den folgenden Jahren an Weltmeisterschaften sowohl auf der Bahn als auch auf der Straße teil. Seit 2015 werden Schindlers Trainingspläne von Hendrik Werner erstellt, der unter anderem auch Tom Dumoulin, den Sieger des Giro d’Italia 2017, betreut. „Ich habe vollstes Vertrauen zu ihm, auch weil ich sehen kann, wie er sich in den letzten Jahren entwickelt hat.“

Schindler hat sich auf das Zeitfahren spezialisiert. „Meine Beine sind taub, ich habe keine Rückmeldung ans Gehirn“, erklärt der 37-jährige Regensburger. „Wenn ich nicht sehen kann, was meine Beine machen, weiß ich es nicht. Dazu kommt, dass ich erst relativ spät mit dem Radsport angefangen habe und nie als Jugendlicher gelernt habe, wie man sich in einem Feld bewegt. Darum habe ich mir das Zeitfahren ausgesucht, dabei muss ich nicht auf andere achten und kann mich auf meine eigene Leistung und Beinstellung konzentrieren.“ Außerdem sei im Zeitfahren die Leistungsverbesserung gut messbar und berechenbar. „Das kommt mir entgegen“, sagt Schindler.

Nach der Saison 2018 beschloss er, sich nur noch auf die Wettkämpfe auf der Straße zu konzentrieren. Schindler hatte bei der Bahn-WM 2018 in Rio einen neuen deutschen Rekord über 3000 Meter aufgestellt, doch insgesamt war die Doppelbelastung zu viel: „Letztes Jahr war ich 150 Tage unterwegs, das hat einfach sehr geschlaucht. Selbst wenn ich zwischendurch zwei Tage zu Hause war, hatte ich keine Zeit für mich, meine Frau, meine Familie oder meine Freunde. Da ist weniger manchmal mehr. Ich betreibe Leistungssport, das geht nicht nebenbei, aber es ist wichtig, die richtige Balance zu finden und Energie für die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu haben.“

Neben Beruf und Sport hat Schindler ein Fernstudium zum Ernährungsberater abgeschlossen, was ihm auch im Sport weiterhilft. Er gehört dem Top Team des Deutschen Behindertensportverbandes an, ist A-Kader-Athlet und zudem Teil des Spitzensportförderungsprogramms des Freistaats Bayern, darüber hinaus hat er einige persönliche Sponsoren und Ausrüster. „Ich habe früh begriffen, dass es ohne die Unterstützung von Partnern und Sponsoren nicht geht. Ich bin allen sehr dankbar.“

Wie viele Zeitfahrer versucht auch Schindler, sein Zeitfahrrad immer noch weiter zu optimieren: „Wenn ich mir am Start bewusst bin, dass ich wirklich an allen Stellschrauben gedreht habe und die Maschine aufs Letzte ausgereizt ist, gibt das Selbstvertrauen. Ich weiß dann, am Rad wird es nicht liegen, das ist ein zusätzlicher Push.“

Für die Saison 2019 war klar: „Tokio ist das Ziel, ich möchte das Ticket zu den Paralympics lösen. Dafür habe ich mich rein aufs Zeitfahren konzentriert und war so stark wie noch nie.“ Beim Weltcup in Ostende im Mai gewann der 37-Jährige sogar das Zeitfahren, doch im Juli folgte ein Rückschlag: Der Regensburger erlitt einen Syndesmosebandriss. Bei einer Operation wäre Schindlers Saison beendet gewesen – und damit die Tür nach Tokio zu. Daher entschied er sich für eine konservative Behandlung – und im August ging es tatsächlich wieder in den Wettkampf. Beim letzten Weltcup-Rennen der Saison im kanadischen Baie-Comeau wurde er Fünfter und blickt jetzt auf die Weltmeisterschaft in Emmen.

„Nach der Verletzung dachte ich, jetzt erst recht. Das Sprunggelenk hält und behindert mich nicht beim Radfahren, ich werde versuchen, das Beste aus der Situation herauszuholen. Auf jeden Fall werde ich sehr leistungsfähig an den Start gehen und dann sehen, was möglich ist“, erklärt Schindler und fügt hinzu: „Das Level in meiner Klasse ist sehr hoch, mein Teamkollege Steffen Warias und ich pushen uns gegenseitig und hoffen, dass wir vielleicht zu zweit nach Tokio fahren können. Ich bin gespannt auf die WM in Emmen, das wird das wichtigste Rennen der letzten sieben Jahre.“

Schindler ist zuversichtlich, es zu den Paralympics zu schaffen, aber gleichzeitig nicht verbissen. „Ich will sagen können, dass ich alles gegeben habe. Das ist für mich das Wichtigste. Am Ende zählt das Ergebnis, und wenn es da Bessere gibt, ich aber weiß, dass ich alles aus mir herausgeholt habe, dann ist das für mich keine Niederlage."

 

Quelle: Lukas Knöfler