Paralympisch leben

Im Interview: Norman Schlee - Vivian Höschs Navigationssystem

Im Interview: Norman Schlee - Vivian Höschs Navigationssystem
19. März 2014

Er ist – wenn man es so nennen mag – der Co-Pilot einer der großen Zukunftshoffnungen des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) – das Navigationssystem der blinden Biathletin Vivian Hösch. In Sotschi gehört er genauso zum Team wie die Aktiven des DBS. Norman Schlee (30, Sportsoldat in der Sportfördergruppe in Todtnau) über seine Rolle als Begleitläufer der 22 Jahre alten Freiburgerin, die als potentielle Nachfolgerin Verena Benteles gehandelt wird.


Herr Schlee, sie genießen bei den Paralympics in Sotschi den gleichen Kaderstatus wie Vivian Hösch, wohnen im Athletendorf und würden auch eine Medaille erhalten, wenn sie es aufs Treppchen schafft. Wie erleben Sie Ihre Rolle insbesondere gegenüber Vivian?

Schlee: Zunächst einmal: Stimmt, wenn wir in Sotschi eine Medaille gewinnen sollten, werden wir als Team gewertet und ich dürfte mit aufs Podium. Daher nehme ich das auch entsprechend ernst. Wenn es nicht so gut läuft, bin ich enttäuscht und freue mich umgekehrt, wenn wir erfolgreich sind. Ich fühle Sieg und Niederlage genauso wie die Athleten selbst. Und zu meiner Rolle: Ich bin automatisch auch Motivator für Vivian, sage 'Auf geht’s' oder 'Jetzt ziehen wir über den Berg und sind gleich in der Abfahrt'. Ich gebe auch viele Technikhinweise, welche Technik wir auf einem bestimmten Stück laufen oder wann wir die Technik wechseln. Ich bin ein Zwischending aus Sportler, Trainer und Motivator. Aber ich könnte auch gar nicht anders, das kommt von selbst, dass ich anfeuere.

Wie sind Sie denn überhaupt Begleitläufer geworden?

Schlee: Ich habe in Freiburg Sport studiert und war früher selbst Leistungssportler im Skilanglauf. An der Sport-Uni hat mich ein Bekannter, der selbst Begleitläufer war, angesprochen, ob ich darauf Lust hätte. Vivian ist damals professionell in den Biathlon-Sport eingestiegen und war gerade auf der Suche nach einem Begleitläufer.

Es sind Ihre und Vivians erste Paralympics. Da muss das Teamwork besonders funktionieren. Wie gut sind Sie beide aufeinander eingestimmt?

Schlee: Sehr, würde ich sagen. Wenn Vivian mit jemand Anderem läuft, ist sie viel zurückhaltender. Sie traut sich mehr, wenn sie mit mir läuft, weil sie ganz genau weiß, dass sie mir vertrauen kann. Ich habe mit der Zeit gemerkt, wie sie auf meine Kommandos reagiert. Das ist bei jedem Athleten anders, aber das bekommt man als Begleitläufer irgendwann raus (Anm. d. Red.: Schlee begleitet einen weiteren Athleten, allerdings keinen weiteren Teilnehmer an den Paralympics). Die Athleten geben mir selbst auch Vorschläge und sagen, wie sie die Kommandos gerne hätten.

Und mit welchen Kommandos arbeiten Sie?

Schlee: Das Grundkommando, das ich ständig sage, ist 'Hopp'. Das sage ich bei jedem Schritt und das bedeutet einfach 'Es geht gerade aus'. Wenn eine Kurve kommt, sage ich zuerst die Richtung 'rechts' oder 'links' und dann geht es nach dem Ziffernblatt der Uhr: 9, 10 und 11 Uhr ist links, 9 ist zum Beispiel eine scharfe Linkskurve. Rechts kann ich wählen zwischen 1, 2 und 3 Uhr und da wäre 3 eine Rechtskurve um 90-Grad. Das sage ich solange, wie wir die Kurve entlang fahren, also ’2-2-2-2-2’ – bis die Kurve vorbei ist. Dann sage ich 'Wieder gerade aus' und dann kommt wieder das 'Hopp'.

Wie anstrengend ist das für Sie selbst?

Schlee: Ich muss ständig Kommandos geben. Wenn es schneller wird, komme ich schon mal außer Atem und wenn ich schnaufen muss, hört man die Kommandos auch manchmal nicht mehr ganz so gut. Es ist anstrengend. Ich muss letztlich fitter sein, als die Athleten, weil ich nebenher noch sprechen und mich ab und zu umdrehen muss.

Welche Besonderheiten im Regelwerk für Begleitläufer müssen Sie beachten?

Schlee: Es gibt im Wettkampf sogenannte Haltezonen, wenn die Abfahrt sehr anspruchsvoll ist. Diese Zonen sind klar markiert, dann darf ich der Athletin meinen Stock geben, damit sie sich daran festhalten kann. Es wird aber ganz genau darauf geachtet, dass ich sie nicht ziehe. Das würde zur Verwarnung oder dann irgendwann zur Disqualifikation führen. Außerdem darf ich am Schießstand keine Hinweise geben.

Nicht erst beim Schießen – da aber natürlich insbesondere – müssen sich die sehbehinderten Biathletinnen und Biathleten ihr Gehör zum Einsatz bringen. Kann die Geräuschkulisse bei den Paralympics zum Problem werden?

Schlee: Ich trage während des Wettkampfs einen Lautsprecher, der mit einem Kehlkopf-Mikrophon verbunden ist. Das ist schon relativ laut. Wenn es trotzdem zu laut werden sollte, ist es einfach wichtig, sich noch mehr nur auf sich zu konzentrieren. Das kann ansonsten schon sehr ablenken, das sieht man schon beim Training. Wenn es in der Umgebung auch nur ein bisschen lauter ist, merke ich das sofort, weil Vivian nicht mehr ganz genau einordnen kann, wo ich bin.

Ist das Vertrauensverhältnis, das Sehbehinderte bzw. Blinde zu ihrem Co-Piloten haben müssen, nicht auch ein entscheidender Faktor?

Schlee: Klar. Vivian und ich haben ein großes Vertrauensverhältnis und verstehen uns auch privat sehr gut. Da gehört es auch dazu, dass wir über andere Sachen als den Sport sprechen. Wir wissen relativ viel übereinander und wir wissen, dass wir uns gegenseitig vertrauen können. Die Freundschaft zwischen uns hilft uns auch viel beim Laufen. Wir laufen mittlerweile schon sechs Jahre zusammen, natürlich passiert auch mal was, aber trotzdem sind wir mittlerweile sehr aufeinander eingespielt.

Wie schätzen Sie Vivians – und Ihre –Chancen in Sotschi ein?

Schlee: Ich bin gespannt, ob sich das Training nun auszahlt. Man kann das ganze Jahr über nicht wirklich einschätzen, wo man steht. Wir haben uns zwar individuell verbessert, aber wie es im Vergleich aussieht, wird sich tatsächlich erst jetzt in Sotschi herausstellen.