Paralympisch leben

„Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint“

2017 saß Katharina Bauernschmidt zum ersten Mal in einem Kanu, 2018 gelang der Sprung in die Nationalmannschaft und 2019 die Qualifikation für die Paralympics – Der Verschiebung kann die Schnell-Starterin nach erster Enttäuschung viel Positives abgewinnen
„Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint“
Foto: Katharina Bauernschmidt im Va'a Florian Schwarzback / Blackburn Photographie
11. Mai 2020

Das Wasser war schon immer ihr Element. Im Kindes- und Jugendalter war Katharina Bauernschmidt als leistungsorientierte Schwimmerin aktiv. Heute liebt sie die Geschwindigkeit auf dem Wasser. Die 30-jährige Para Kanutin hat in den vergangenen zwei Jahren eine rasante Entwicklung durchlebt. Der Zeitraum von den ersten Paddelversuchen bis zum Paralympics-Debüt in Tokio hätte nur drei Jahre betragen können – dann folgte die Verlegung der Spiele auf das Jahr 2021.

„Da hat es das Schicksal gut mit mir gemeint“, sagt Katharina Bauernschmidt. Ein bemerkenswerter Satz. Schließlich führte ein vermeintlicher Routine-Eingriff an der Bandscheibe zu einer Querschnittslähmung. Damals war sie 21. Es war ein tiefer Einschnitt in ihrem Leben. Doch auch gewissermaßen ein Neustart, der viele neue Wege und Möglichkeiten bietet. Natürlich hatte Bauernschmidt nicht gleich die Überzeugung, dass sie mal paralympische Spitzensportlerin werden würde. „Erstmal hatte ich gar keine Lust auf Sport, ich musste mich und meinen Alltag ja ganz neu organisieren. Irgendwann fing es dann an, wieder in den Fingern zu kribbeln. Allerdings hat mein Schwimmer-Herz geblutet, als mir klar wurde, dass ich nicht wieder an meine alten Zeiten herankommen werde. Deshalb musste eine neue Sportart her“, sagt die Duisburgerin.

Gesagt, getan: Katharina Bauernschmidt griff zum Telefon und informierte sich über mögliche Angebote im Para Sport in Nordrhein-Westfalen. Schon bei der ersten Kontaktaufnahme mit dem Deutschen Rollstuhlsportverband ergab sich, dass es nahe ihrer Heimat die Möglichkeit gibt, die Sportart Para Kanu auszuprobieren.
 

Leistungssport oder zum Spaß ein bisschen Paddeln? Leistungssport!

So nahm sie im Herbst 2017 mit ihrer heutigen Heimtrainerin Kontakt auf und setzte sich erstmals in das Auslegerboot, den sogenannten Va’a. Schnell deutete Bauernschmidt ihr Potenzial ab und fand Gefallen an der Sportart, die bei den Spielen 2016 in Rio paralympische Premiere feierte. Schon nach drei Wochen stellte die Trainerin ihrem neuen Schützling die Frage, in welche Richtung die Reise gehen soll. „Leistungssport oder zum Spaß ein bisschen Paddeln – diese beiden Optionen hatte ich damals“, erinnert sich die Athletin des WSV Niederrhein Duisburg. Nach kurzer Bedenkzeit entschied sie sich für den Weg in den Leistungssport – und von da an ging es auf der Erfolgsleiter zügig nach oben. Bereits bei einer Sichtung im Frühjahr 2018 überzeugte sie den damaligen Cheftrainer der Para Kanu-Nationalmannschaft und feierte noch im gleichen Jahr ihr Debüt auf internationaler Wettkampf-Bühne. Mit Platz vier bei der EM und Rang fünf bei der WM schloss sie ihre erste Leistungssport-Saison gleich mit zwei Ausrufezeichen ab.

Der bisherige Höhepunkt ihrer jungen Karriere folgte bei der WM 2019 im ungarischen Szeged. Über einen guten Vorlauf in der Klasse VL2 sicherte sie sich einen Startplatz im Finale, in dem die ersten Quotenplätze für die Paralympics vergeben wurden. „Die WM war natürlich ein wichtiger Meilenstein für mich, aber an eine mögliche Qualifikation für die Paralympics hatte ich im Vorfeld überhaupt nicht gedacht. Die internationale Konkurrenz ist stark und hat vor allem viel mehr Wettkampferfahrungen als ich“, sagt Bauernschmidt.


Großer Jubel: Bei der WM 2019 ein Ticket für Tokio gelöst

Doch die Duisburgerin bewies erneut, dass sie international konkurrenzfähig ist und wurde Fünfte: Ein Ticket für Tokio war damit gebucht. „Ich war total ausgepumpt nach dem Rennen und hab es zunächst gar nicht realisiert. Als ich dann an den Steg gefahren bin und mir die Leute vor lauter Jubel fast ins Boot gesprungen sind, habe ich verstanden, dass es gereicht hat“, erinnert sie sich. Die Freude war im gesamten deutschen Team groß, denn Bauernschmidt hatte bei den parallel und am gleichen Ort ausgetragenen Weltmeisterschaften den ersten Quotenplatz der deutschen Kanuten überhaupt geholt, sowohl mit Blick auf die Olympischen als auch die Paralympischen Spiele.

Entsprechend fieberte Katharina Bauernschmidt dem Jahr 2020 entgegen. Doch neben den Paralympics wurden auch die für Ende Mai geplanten Weltmeisterschaften auf der heimischen Regattabahn in Duisburg abgesagt. So hat sich die komplette Jahresplanung im Zuge der Corona-Pandemie über den Haufen geworfen. „Natürlich war ich im ersten Moment enttäuscht. Das ganze Jahr war auf die beiden Wettkämpfe ausgerichtet, das Privatleben und das ganze Umfeld passt sich an den Wettkampfkalender an und dann verändert sich alles“, berichtet Bauernschmidt über ihre Gefühlslage nach der Verschiebung, sagt jedoch: „Abgesehen davon spielt mir persönlich die Verlegung sogar in die Karten.“ Nur einige Wochen bevor die Corona-Beschränkungen auch ihren Trainings-Alltag beeinflussten, musste sie sich einer Operation unterziehen. „Das hat mich ziemlich zurückgeworfen. Deshalb kommt das zusätzliche Jahr gelegen, um wieder mein vorheriges Niveau zu erreichen und dieses noch zu steigern. Ich werde 2021 stärker an den Start gehen, als es in diesem Jahr möglich gewesen wäre.

Mit dem Exoskelett ins dritte Stockwerk

Die Entwicklung und die Erfolge, die die junge Para Kanutin in den letzten Jahren durchlebt und gefeiert hat, sind mit harter Arbeit verbunden. Ihr Alltag wird längst vom Leistungssport bestimmt. Neben zwei Einheiten pro Tag auf dem Wasser trainiert Bauernschmidt sechs Tage die Woche zusätzlich im Kraftraum. „Ich habe in Duisburg beste Trainingsbedingungen. Bei jeder Einheit ist einer meiner Heimtrainer vor Ort und auch beim Krafttraining kann ich mich auspowern. Seitdem ich mich 2017 für diesen Weg entschieden habe, hat sich viel verändert“, sagt die 30-Jährige. 20 Kilogramm habe sie seitdem abgenommen.

Außerdem sucht Katharina Bauernschmidt auch neben dem Leistungssport immer neue Herausforderungen. So probierte sie vor einigen Jahren das Exoskelett aus – ein System, das Menschen mit Querschnittlähmungen das Gehen ermöglicht. Dafür absolvierte sie ein zwölfwöchiges Training und hat es nun fest in ihren Alltag integriert. „Meine Wohnung liegt im dritten Stock in einem Haus ohne Aufzug. Da ist das Exoskelett aus meinem Alltag gar nicht mehr wegzudenken“, sagt Bauernschmidt schmunzelnd.

In ihrem Freundes- und Bekanntenkreis ist die 30-Jährige als absoluter Adrenalin-Junkie bekannt. Der nächste Kick war für die Zeit nach den Paralympics fest eingeplant: „Ich möchte unbedingt einen Fallschirmsprung machen.“ Ein kleiner Wermutstropfen bleibt also doch durch die Verschiebung der Spiele. „Aber das kann ich auch später noch machen. Im nächsten Jahr haben die Vorbereitungen auf die Spiele absoluten Vorrang“, berichtet die Para Kanutin vorfreudig. Und wieder zeigt sich: Katharina Bauernschmidt sieht offensichtlich in jeder Herausforderung auch eine neue Chance.