Edina Müller ist vor der Kanustrecke zu sehen, sie hält ihre Medaille und den Blumenstrauß in der Hand
Paralympics

"Einfach nur ein geiler Tag"

Edina Müller krönte sich vor den Augen ihres mit nach Tokio gereisten Sohnes Liam zur Paralympicssiegerin im Kajak (K1). Es war die bereits vierte Medaille bei paralympischen Spielen für die ehemalige Rollstuhlbasketballerin. Keine Stunde später zog die erst 20 Jahre alte Felicia Laberer im Kajak (KL3) nach und ließ Bundestrainer André Brendel staunend zurück.

Autor: DBS
4 Minuten Lesezeit veröffentlicht am 04. September 2021

André Brendel, der Bundestrainer der deutschen Para Kanuten, kam am Sea Forest Waterway in Tokio gar nicht mehr aus dem Strahlen heraus: „Heute einfach nur ein geiler Tag“, sagte Brendel, der allen Grund zur Freude hatte: Edina Müller und Felicia Laberer sorgten für Edelmetall im deutschen Team Müller schnappte sich Gold im Kajak (KL1) und Felicia Laberer (KL3) zog keine Stunde später mit Bronze nach. „Ich bin so unfassbar glücklich und stolz auf das ganze Team“, sagte der Bundestrainer. Über die Goldmedaille von Müller freute er sich besonders: „Diese Leistung ist unglaublich. Vor allem nachdem ihr in der letzten Zeit so viele Steine in den Weg gelegt wurden.“

Die 38 Jahre alte Athletin, die 2008 (Silber) und 2012 (Gold) schon als Rollstuhlbasketballerin ordentlich abräumte und 2016 dann im Kanu Silber holte, hat definitiv anstrengende Wochen hinter sich: Vom IPC wurde ihr eine Akkreditierung für ihren Sohn Liam verwehrt: Der Zweijährige durfte also nicht ins paralympische Dorf. „Ich bin im Hotel mit meinem Mann und meinem Sohn. Zum Essen und zum Mannschafts-Meeting musste ich immer ins paralympische Dorf. Auch Physiotherapie und so: Das war alles im Dorf“, sagte Müller, die aber auch klarstellte: „Ich wäre auf keinen Fall zwei Wochen ohne meinen Sohn weggeflogen“, sagte Müller. Doch all die beschwerliche Organisation habe sich vollkommen gelohnt: „Wir haben ales richtig gemacht. Es gab in der Zeit viele Zweifler, viele Leute, die nicht an mich geglaubt haben. Und jetzt hier zu sein mit der Goldmedaille und dem Team im Rücken, das mich immer unterstützt hat - das ist der Wahnsinn“, sagte eine überglückliche Müller, die ihre Goldmedaille einfach nicht mehr aus der Hand lassen wollte. „Ich bin sehr froh, dass mein Sohn an meinem Rennen teilhaben konnte“, sagte die Müller und fügte an: „Als ich Liam im Ziel in den Arm nehmen konnte, war alles vergessen. Es ist eine unglaubliche Last von mir abgefallen.“ Postwendend gab es nach dem erfolgreichen Finale vom kleinen Liam einen dicken Glückwunsch-Kuss.

„Die ganzen Emotionen des Sports“

„Ich habe es immer gesagt: Wenn Edina sich wohlfühlt, dann ist sie einfach nicht zu bremsen“, sagte Brendel. „Was Edina im Trainingslager vor den Paralympics teilweise für starke Zeiten gefahren ist - und das alles, weil sie hier ihre Familie um sich haben konnte“, ist sich der Bundestrainer sicher. „Edina angefeuert von ihrem Kleinen und ihrem Mann: Da spielen die ganzen Emotionen des Sports mit“, sagte Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, der sich die Kanu-Finals nicht entgehen lassen wollte. Beucher und den restlichen Zuschauern wurde ein überragendes Rennen von der 38 Jahre alten Müller geboten. Vom Start weg gab die Paralympics-Siegerin den Ton an. „Edina ist ein wahnsinnig souveränes und starkes Rennen gefahren. Oft ist es im Sprint ja so, dass du gut rauskommst beim Start und dann deinen Vorsprung bis zum Ende verwaltest. Aber Edina ist ja stetig schneller geworden und hat den Vorsprung immer weiter vergrößert“, zeigte sich Bundestrainer Brendel beeindruckt. „Es war eines der besten Rennen von mir. Ich hatte mir sehr viel Selbstvertrauen in meinem Vorlauf geholt“, sagte Müller, die den im Vorlauf von ihr aufgestellten paralympischen Rekord im Finale nochmals unterbot: Nach 53,968 Sekunden war die Athletin vom Hamburger Kanu Club im Ziel. Müller nahm der zweitplatzierten Ukrainerin Maryna Mazhula fast eine ganze Sekunde auf den 200 Metern ab. Katherinne Wollermann, die Chilenin auf Platz drei, hatte schon fast zwei Sekunden Rückstand.

Müller, die bei der Medaillenzeremonie Tränen in den Augen hatte, durfte sich zudem darüber freuen, dass Arne Bandholz, Co-Trainer der deutschen Para Kanuten und ihr Heimtrainer, sein Versprechen von Rio 2016 einlöste: samt Klamotten sprang er ins Wasser der Tokioter Bucht. „Schon 2016 nach der Silbermedaille ist er zu mir ins Wasser gesprungen. In Rio hatte er dann zu mir gesagt: ‚In Tokio machen wir das wieder, dann holst du aber Gold.‘ Und jetzt stehen wir hier mit Gold in den Händen.“ Am Abend solle nun kräftig gefeiert werden. Auch wenn es schwierig werde, einen gemeinsamen Ort für alle aufzutreiben. „Der Kleine darf nicht mit ins Dorf. Da müssen wir gucken, dass wir irgendwas finden.“

Felicia Laberer: Innerhalb von drei Jahren in die Weltspitze

Zu feiern gibt es nämlich nicht nur das Gold Müllers oder den 28. Geburtstag von Tom Kierey, der am Freitag Sechster im KL3 wurde: Felicia Laberer konnte bei ihren ersten Paralympics direkt eine Medaille gewinnen. Die Berlinerin kam nach 51,868 Sekunden im Ziel an und schnappte sich Bronze. „Wie frech Felicia hier auftrumpft und mit ihrem jugendlichen Leichtsinn einfach in der Weltspitze mitmischt“, zeigte sich Bundestrainer Brendel sichtlich von der Leistung der 20 Jahre alten Laberer beeindruckt. „Felicia war bei Rio 2016 im Jugendcamp mit dabei - aber als Schwimmerin. Erst vor zwei oder drei Jahren hat sie mit dem Paddeln angefangen“, sagte Brendel, der scherzend nachschob: „Am Anfang sah das aber auch eher nach Schwimmen denn nach Paddeln aus.“ Vor allem der Endspurt Laberers machte den Bundestrainer beinahe sprachlos: „Ungefähr 30 Meter vor dem Ziel sah das ja überhaupt nicht nach einer Medaille aus.“ Wären 205 statt den 200 Metern im Sprint zu absolvieren gewesen, hätte Laberer wohl gar noch die Französin Nelia Barbosa eingeholt und Silber eingefahren. Gold ging an die Britin Laura Sugar in 49,582 Sekunden - paralympische Bestzeit.

Quelle: Patrick Dirrigl