Paralympics

Lautstarke Begeisterung, Medaillen-Vielfalt und neuer Schwung

Das Team D Paralympics

Paralympics im Herzen von Paris, Paralympics vor vollen Rängen, Paralympics mit beeindruckenden Leistungen und mit einem deutschen Team, das nicht nur sportlich voll überzeugt hat – die Paralympischen Spiele in Frankreich haben neue Maßstäbe gesetzt und sollen auch nachhaltig wirken. Es war der erhoffte nächste Meilenstein für die Paralympische Bewegung mit einer Begeisterung, wie man sie zuvor nur von London 2012 kannte.

6 Minuten Lesezeit veröffentlicht am 18. September 2024

Aus sportlicher Sicht hat das Team Deutschland Paralympics den Abwärtstrend der vergangenen Spiele stoppen können – sowohl hinsichtlich der Mannschaftsgröße als auch hinsichtlich der Medaillenausbeute. 143 Athlet*innen und fünf Guides sorgten für insgesamt 49 Edelmetalle und 63 Platzierungen auf den Rängen vier bis acht, darunter 13 vierte Plätze. In Tokio waren es sechs Medaillen und sechs Platzierungen zwischen vier und acht weniger. Ebenso erfreulich: Die Medaillengewinne verteilen sich auf 13 Sportarten – vor drei Jahren waren es nur acht Sportarten. „Wir haben in der zweiten Hälfte der Spiele sehr gut aufgeholt und können mit unserem Abschneiden insgesamt zufrieden sein. Mit Ausnahme der Para Leichtathletik und Para Radsport haben wir in allen Sportarten besser abgeschnitten als in Tokio. Das ist ein schöner Erfolg“, betont Dr. Karl Quade, der das deutsche Team zum 15. Mal als Chef de Mission anführte. „Wir werden uns jetzt nicht zurücklehnen, sondern die Ergebnisse werden uns Ansporn sein, uns noch besser aufzustellen, noch professioneller zu werden. Wir hoffen, dass uns diese Spiele einen weiteren Schub geben“, sagt Quade.

Stärkste deutsche Teil-Mannschaft waren diesmal die Para Schwimmer*innen. Die lautstarke La Défense-Arena beflügelte die Athlet*innen von Bundestrainerin Ute Schinkitz zu Glanzleistungen. Vier Goldmedaillen sowie jeweils dreimal Silber und Bronze: Gut ein Fünftel der deutschen Edelmetalle ging damit auf das Konto der Schwimmer*innen, dazu zwei Weltrekorde durch Elena Semechin und Taliso Engel, die ihre Ausnahmestellung mehr als unterstrichen. Dazu krönten sich erstmals auch Tanja Scholz und Josia Topf zu Paralympics-Siegern. Erfolgreichste Einzel-Athletin war Para Sportschützin Natascha Hiltrop, die gar zwei Goldmedaillen gewann, eine davon mit paralympischem Rekord. Über überraschende Paralympics-Siege jubelten Para Radsportlerin Maike Hausberger, Para Tischtennisspielerin Sandra Mikolaschek sowie Rollstuhlfechter Maurice Schmidt, der gemeinsam mit Elena Semechin die deutsche Fahne bei der Abschlussfeier im Stade de France tragen wird. Während es für das Trio Premieren-Gold war, gewann Markus Rehm bereits den fünften Paralympics-Titel. Im Weitsprung war es das vierte Gold in Folge seit 2012.

Das deutsche Fahnenträger-Duo der Eröffnungsfeier – Para Kanutin Edina Müller und Para Triathlet Martin Schulz, die in Tokio beide noch Gold gewannen – zeigte ebenso wie Para Leichtathletin Irmgard Bensusan bei ihren letzten Paralympics, wie emotional und wertvoll der Gewinn einer Bronzemedaille sein kann. Groß war die Freude auch beim dem ältesten männlichen deutschen Teilnehmer: Thomas Wandschneider gewann das erste Edelmetall im Para Badminton für Deutschland überhaupt. Die älteste Athletin des Team D Paralympics, Para Dressursportlerin Heidemarie Dresing, freute sich mit Bronze ebenfalls über eine Medaille – insgesamt sammelte die deutsche Equipe jeweils dreimal Silber und Bronze.

Die erfolgreichsten deutschen Sportarten der vergangenen Paralympics – Para Leichtathletik mit 15 und Para Radsport mit zwölf Edelmetallen – mussten sich diesmal mit weniger Platzierungen auf dem Podium begnügen. Die Para Leichtathlet*innen gewannen neben der Goldmedaille von Markus Rehm noch dreimal Silber und viermal Bronze, die Para Radsportler*innen zusätzlich zum Paralympics-Sieg von Maike Hausberger noch einmal Silber und fünfmal Bronze. Jeweils zweimal mit Rang vier mussten sich Para Leichtathlet Léon Schäfer und Para Radsportler Pierre Senska begnügen. Gold-Favorit Johannes Floors sprintete auf den 400 Metern auf Rang zwei ins Ziel, blieb ebenso hinter seinen eigenen Erwartungen zurück wie Kugelstoß-Weltrekordler Niko Kappel. „Es zeigt: Die Zeit von Abonnement-Siegen ist vorbei, Selbstverständlichkeiten sind im Sport grundsätzlich schwierig. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass wir eine weltweite Leistungsexplosion im Sport von Menschen mit Behinderungen erleben. Für den Para Sport ist das eine gute Entwicklung und auch für den Stellenwert von Menschen mit Behinderungen in dieser Welt. Darüber freue ich mich sehr“, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher.

Die Entwicklung geht auch in Deutschland voran. 57 Athlet*innen feierten in Paris ihre Paralympics-Premiere, sechs davon plus der Mixed-Zweier im Para Rudern gewannen eine Medaille, viele weitere überzeugten mit persönlichen Bestzeiten pünktlich zum Highlight. „Darüber freuen wir uns sehr, denn das zeigt auch, dass die Pläne der Trainerteams und der Athlet*innen ganz überwiegend aufgegangen sind“, sagt Karl Quade und fügt an: „Dass man bei so einem großen Team und in 18 Sportarten neben positiven Überraschungen auch manche Enttäuschung erlebt, gehört einfach dazu. Die Breite in der Spitze wird deutlich größer. Es sind nicht mehr nur einzelne, die gewinnen können. Da kann es eben passieren, dass man mal nicht gewinnt.“

Jubeln durfte das Team D Paralympics dafür noch über Bronze in einer Mannschaftssportart – es war die erste Team-Medaille seit 2016. Für die Rollstuhlbasketball-Herren war es gar das erste Edelmetall seit 32 Jahren – ein historischer Erfolg. „Ich kann es noch gar nicht fassen, in meinen vierten Spielen hat es endlich geklappt. Wir haben nach der Pause alle ein geiles Spiel gemacht, ich bekomme immer noch Gänsehaut. Als wir endlich in Führung lagen, wusste wir, dass wir es auch schaffen. Es war eine geile Reise“, sagt Top-Scorer Thomas Böhme, der ein überragendes Turnier spielte. Die Sitzvolleyballer verpassten ihre Medaille im Spiel um Bronze hauchdünn, die Rollstuhlbasketball-Damen mussten sich mit Rang sechs begnügen. Ohne den erhofften Sieg beendeten das deutsche Rollstuhlrugby-Team das Paralympics-Comeback nach 16 Jahren. Die Mannschaft von Christoph Werner kämpfte jedoch in jedem Spiel wacker, hielt mit den Favoriten über weite Strecken sogar mit und machte Werbung für eine spektakuläre Sportart.

Zum Abschluss schraubten die Para Kanutinnen das deutsche Medaillenkonto mit einem Bronze-Hattrick noch auf 49 in die Höhe – zehn Goldmedaillen, 14 Mal Silber und 25 Mal Bronze. Aus internationaler Sicht ist China weiterhin das Maß aller Dinge, gewann 220 Medaillen, darunter 94 Gold. Mit weitem Abstand folgen Großbritannien und die USA vor den Niederlanden und Brasilien. Gastgeber Frankreich schließt den Medaillenspiegel auf Rang acht ab, Deutschland auf dem elften Platz.

Was bleibt noch von den Paralympics in Paris? Ein fröhliches Leben im Paralympischen Dorf ohne Masken und Corona-Beschränkungen, eine hervorragende Organisation und eine überragende Stimmung in teils grandiosen Sportstätten vor über 2,5 Millionen Zuschauer*innen. „Rollstuhlfechten im Grand Palais, Para Dressursport am Schloss Versailles, der Zieleinlauf im Para Triathlon auf der Ponte Alexandre III oder Blindenfußball direkt am Eiffelturm – besser geht es einfach nicht. Das Publikum hat eine unglaubliche Begeisterungsfähigkeit sowie eine faire Anerkennung der beeindruckenden Leistungen der weltbesten Para Sportler*innen gezeigt“, sagt DBS-Präsident Beucher, der auch die Bedeutung des drittgrößten Sportevents der Welt betont: „In unruhigen Zeiten begegnen sich Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft sowie mit verschiedensten Behinderungen freundschaftlich zum Wettkampf – das ist das Signal, welches wir von der Stadt der Liebe in die Welt senden.“

Bei der Eröffnungsfeier auf der Place de Concorde, vor 225 Jahren Zentrum der französischen Revolution, riefen IPC-Präsident Andrew Parsons und Tony Estanguet, Präsident des Organisationskomitees der Olympischen und Paralympischen Spiele, die Inklusionsrevolution aus. „Auch wir in Deutschland brauchen diesen Weckruf und ein klares Bekenntnis für den Sport von Menschen mit Behinderung. Wir fordern seit Jahren, dass sich mehr Vereine für Menschen mit Behinderungen öffnen müssen, dass es mehr Übungsleiter*innen braucht, dass Barrieren in Sportstätten abgebaut werden müssen und dass der Wille, Sport zu treiben, nicht an fehlenden Hilfsmitteln oder Angeboten scheitern darf. Sonst werden Menschen mit Behinderungen immer wieder vom Sport ausgeschlossen und echte Teilhabe verhindert“, sagt Beucher. Das sei eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. „Ich erhoffe mir, dass diese Diskussionen an Fahrt aufnehmen – sowohl nach den begeisternden Spielen von Paris als auch im Zuge einer deutschen Bewerbung für Olympische und Paralympische Spiele. Als Gesellschaft müssen wir die Voraussetzungen schaffen, um Menschen mit Behinderung die Tür zum Sport deutlich weiter zu öffnen. Es müssen jetzt Taten folgen“, betont Beucher.

Die Aufmerksamkeit rund um die Paralympics war so groß wie nie zuvor. Erstmals zeigten die öffentlich-rechtlichen Sender Para Sport in der Primetime um 20.15 Uhr – in der Spitze schauten fast 2,4 Millionen Menschen zu. „Wir sind überzeugt, dass wir auch dank dieser attraktiven Sendezeiten und der Berichterstattung über sämtliche Medien nicht nur viele neue Fans für den Para Sport begeistern und inspirieren konnten, sondern auch Menschen mit Behinderungen für den Sport motiviert haben“, sagt Friedhelm Julius Beucher.

Zur großen Aufmerksamkeit trugen neben den Hauptdarsteller*innen – den 4400 Athlet*innen aus 169 Nationen sowie dem begeisterungsfähigen Publikum – auch Ehrengäste bei. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender waren ebenso vor Ort wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Zudem gab Clueso ein Wohnzimmerkonzert im Deutschen Haus, das auch Trainer-Legende Jürgen Klopp besuchte. Klopp fasste seine Eindrücke so zusammen: „Es ist so ermutigend und bewundernswert, was hier für Leistungen gezeigt werden. Ich finde, es sollte mehr gezeigt werden.“

Die Paralympics in Paris – sie waren bunt, fröhlich, stimmungsvoll und erfolgreich. Es war der erhoffte Meilenstein für die Paralympische Bewegung. Ein Meilenstein, der auch in Deutschland für viel Anschub sorgen soll, sowohl für den paralympischen Leistungssport als auch für den Sport von und für Menschen mit Behinderungen insgesamt.