Andrea Rothfuss gewinnt Bronze im Riesenslalom und damit ihre 14. Medaille bei Paralympics.
Andrea Rothfuss hat es geschafft und auch bei ihren fünften Paralympics eine Medaille geholt. Bronze im Riesenslalom von Yanqing ist ihr mehr wert als jedes andere Edelmetall zuvor. Zimmerkollegin Anna-Lena Forster verpasste es um 0,06 Sekunden, ihren Medaillensatz zu komplettieren. Anna-Maria Rieder wurde Fünfte, Noemi Ristau mit Paula Brenzel Zehnte.
Immer wieder schloss Andrea Rothfuss die Augen, atmete tief durch und blickte ungläubig und kopfschüttelnd ihre Bronzemedaille an. Freudentränen liefen ihr über die Wangen, sie schluchzte und drückte die Medaille fest an sich. Beim anschließenden zehnminütigen Interview hielt sie ihren Lohn für den dritten Platz im Riesenslalom der stehenden Klasse ununterbrochen fest und streichelte immer wieder sanft darüber. „Diese Medaille hat die größte Bedeutung für mich, sie ist mir am meisten wert“, sagte die 32-Jährige vom SV Mitteltal-Obertal, die der Spitzensportfördergruppe des Zoll Ski Teams angehört.
Dazu muss man wissen: Rothfuss ist zum fünften Mal dabei, wurde 2014 in Sotschi Paralympics-Siegerin und hatte vor dem heutigen Tag schon Gold, neun Mal Silber und drei Mal Bronze bei Winterspielen gewonnen. Der dritte Platz in ihrer Lieblingsdisziplin Riesenslalom hat dennoch eine andere Dimension – auch weil sie selbst nicht mehr daran geglaubt hatte, nachdem sie im Januar bei der Weltmeisterschaft in Lillehammer erstmals in ihrer langen Karriere ohne Podestplatz bei einem Großereignis geblieben war. „Ich wusste um die starke Konkurrenz. Für mich war es ein Ding der Unmöglichkeit. Jetzt hier zu stehen und das Unmögliche geschafft zu haben – ich raffe es noch nicht so ganz“, sagte die fünfmalige Weltmeisterin: „Es ist einfach geil, mir diesen Traum erfüllt zu haben. Es ist eine Lebensgeschichte, die diese Medaille erzählt. Ich bin 32 Jahre, nehme seit 16 Jahren und damit die Hälfte meines Lebens an Paralympics teil. Das ist mir keine andere Medaille der Welt wert.“
Nach dem ersten Lauf hatte Rothfuss noch 1,38 Sekunden Rückstand aufs Podest, vor ihr lagen die bisherigen Titelträgerinnen dieser Spiele Mengqiu Zhang aus China, Ebba Aarsjoe aus Schweden und Mollie Jepsen aus Kanada. Doch im zweiten Lauf legte die 32-Jährige die zweitbeste Zeit hin und verbesserte sich – auch dank des Ausfalls der Schwedin Aarsjoe – auf Rang drei. Ihre Dauer-Konkurrentin Marie Bochet aus Frankreich, die ihr jahrelang den Weg zu Gold versperrte, ließ sie in beiden Läufen hinter sich: „Ich war schon glücklich, als die Anzeige im Ziel grün war. Dann habe ich gesehen, dass ich Marie noch mal Zeit abgenommen hatte und dachte: Geil, geil, geil – das ist der Grundstein, falls es etwas werden soll!“
Doch so cool sie während des Rennens wirkte, war sie innerlich nicht: „Ich hatte oben Angst vor mir selber, weil ich nicht wusste, ob ich meinen eigenen Ansprüchen gerecht werden kann“, berichtete Rothfuss, die in der Abfahrt als Vierte noch knapp am Podest vorbeigerast war: „Mein Trainer meinte nur: Wenn du schon Angst vor dir selber hast, was glaubst du dann, wie viel Angst die anderen haben? Danke ,Hasch‘ (Karl-Heinz Vachenauer) für diesen Satz! Die anderen hatten tatsächlich noch mehr Angst vor mir als ich vor ihnen.“
Geholfen haben Rothfuss – auch nach der medaillenlosen WM – vor allem positive Gedanken, wenngleich es ihr schwerfiel: „Alle haben immer gesagt, ich werde hier eine Medaille holen. Ich selbst habe das nicht“, sagte die 32-Jährige: „Aber ich bin davon überzeugt, dass nach jedem Tief nochmal ein Hoch kommt. Da habe ich auch diesmal dran geglaubt – und dass ich einfach weitermachen muss. Im Riesenslalom fühle ich mich wohl. Es ging nicht darum, Spaß zu haben, sondern nur darum, den Arsch zu bewegen und laufen zu lassen.“
Für Bundestrainer Justus Wolf war die Medaille „hochverdient, weil sie jahrelang konsequent gearbeitet hat.“ Und ungeachtet dessen, dass am nächsten Morgen der Wecker wieder um 5 Uhr früh zum abschließenden Slalom klingeln würde, wollte sich Rothfuss den Moment auf der Medals Plaza in Yanqing „gönnen“. Ihr Team jubelte ihr zu und sie war happy: „Ich genieße es, dass ich das nochmal erleben darf.
Forster wird Vierte: „Von oben bis unten gebremst“
Ihre Zimmerkollegin Anna-Lena Forster, mit der sich Rothfuss die vergangenen Tage immer mitgefreut hatte, als sie in Abfahrt und Super-G Silber und in der Super-Kombination Gold holte, herzte sie im Ziel innig. Denn Forster wollte Rothfuss nicht nur gratulieren, sondern hatte auch Trost nötig. Denn mit ihrem Riesenslalom war die 26-jährige Monoskifahrerin gar nicht zufrieden: „Ich bin enttäuscht von mir, ich konnte meine Leistung überhaupt nicht abrufen. Ich hatte sehr mit dem Schnee zu kämpfen“, sagte Forster, die schon nach dem ersten Lauf mit dem „total nassen“ Schnee haderte: „Das ist ärgerlich, weil ich weiß, dass ich es viel besser kann. Aber wenn man es nicht umsetzen kann, dann bringt alles nichts. Ich bin überhaupt nicht auf die Kante gekommen, hatte keinen Zug auf dem Ski. Dann bin ich viel zu viel gerutscht. Das macht einfach langsam und summiert sich auf.“
Zwar hatte sie den Rückstand von 1,98 Sekunden nach dem ersten Lauf auf 0,06 Sekunden drücken können. Doch Bronze um sechs Hundertstelsekunden verpasst zu haben, war nicht weniger schlimm als die Tatsache, dass ihre Dauer-Konkurrentin Momoka Muraoka mit einem fabelhaften zweiten Durchgang und einem großen Vorsprung Gold gewann. „Ich habe von oben bis unten gebremst, da kann man nicht viel erwarten“, sagte Forster und nutzte die Siegerehrung von Freundin Andrea Rothfuss auch, um auf andere Gedanken zu kommen. Direkt nach dem Rennen wollte sie „erstmal abschalten, allein sein.“ Denn Zeit zum Grübeln bleibt keine, schon am morgigen Samstag steht um 8.30 Uhr Ortszeit Forsters Parade-Disziplin an, der Slalom. Dort hatte sie 2018 Paralympics-Gold gewonnen und in der Super-Kombi einen Rückstand von 6,07 Sekunden wettgemacht: „Das ist meine Disziplin. Da kann ich nochmal einiges erreichen.“
Rieder auf Platz fünf, Ristau enttäuscht auf Rang zehn
Anna-Maria Rieder verbesserte sich beim Bronze-Coup von Andrea Rothfuss im zweiten Lauf von Rang sieben auf Platz fünf, war mit ihrem Ergebnis aber „nicht so ganz glücklich“. Denn die Slalom-Expertin, die in der Super-Kombination Vierte wurde und mit Platz fünf im Super-G schon einen guten Start in ihre zweiten Paralympics zeigte, hatte sich mehr erhofft – zumal sie in den technischen Disziplinen in dieser Saison bislang stärker war als Rothfuss. Die 22-Jährige, die ihre großen Hoffnungen in den Slalom am Samstag setzt, sagte: „Es hat sich komisch angefühlt, ich bin irgendwie nicht vom Fleck gekommen und habe einfach keinen schnellen Wechsel geschafft. Das nervt mich, auch wenn ich mich für Andi freue. Ich muss das erstmal verdauen.“
Ähnlich bedient waren Noemi Ristau und ihre Begleitläuferin Paula Brenzel nach Platz zehn in der Klasse der sehbehinderten Athletinnen. Nach einem zweiten Durchgang, in dem Ristau zu Beginn wegrutschte und nicht mehr in den Lauf fand, war die Hoffnung auf eine Aufholjagd vergebens. „Die Top 5 waren schwer erreichbar, aber ich hatte gehofft, die drei oder vier, die eine Sekunde vor mir waren, noch zu holen“, sagte Ristau und Brenzel ergänzte: „Wir sind schon enttäuscht. Platz zehn ist bitter für uns, wir haben uns was anderes vorgestellt.“ Doch auch für die beiden steht morgen noch der Slalom an und das Ziel ist klar: „Wir wollen zeigen, dass wir zwei gute Läufe runterbringen können“, sagte Ristau. „Und dass du Ski fahren kannst“, fügte Brenzel mit einem Lachen hinzu.