2012 begann Catharina Jule Weiß mit Rollstuhlbasketball, 2017 gelang ihr der Sprung in die Nationalmannschaft und 2019 die Qualifikation für die Paralympics – Corona wirbelt die Pläne durcheinander: Die Spiele verschoben, die Rückkehr in die USA ungewiss
2012 begann Catharina Jule Weiß mit dem Rollstuhlbasketball, 2017 gelang ihr der Sprung in die Nationalmannschaft und 2019 die Qualifikation für die Paralympics. Die Corona-Pandemie hat ihre Pläne für dieses Jahr mächtig durcheinandergewirbelt – im März kehrte sie vorzeitig aus den USA zurück, wo sie in Alabama für ihr Uni-Team spielte und studierte. Rückkehr? Ungewiss.
Seit Mitte März ist Catharina Weiß wieder zu Hause. In Esslingen unweit von Stuttgart, wo auch ihre Familie lebt. Außerplanmäßig hat sie einen Flieger nach Deutschland gebucht. Dabei wollte sie so früh noch gar nicht zurück sein. Die 20-Jährige hatte bis dahin eine schöne Zeit in den USA. Im vergangenen Herbst schrieb sie sich an der Universität von Alabama ein, belegte Englischkurse, schnupperte in Vorlesungen rund um die Themen Marketing und Wirtschaft und machte das, was sie am liebsten tut: Rollstuhlbasketball spielen.
Die Hochschule fördert seit Jahren den Behindertensport und von anderen deutschen Athleten, die vor ihr bereits dort waren oder es aktuell noch sind, wusste sie, dass es sogar ein eigenes Rollstuhlbasketball-Team gibt. Eines, das noch dazu recht erfolgreich ist. Catharina Weiß fieberte mit ihrer Mannschaft gerade dem Saisonfinale entgegen, als sich Deutschland als Folge der Corona-Pandemie auf den Lockdown vorbereitete. „Rückblickend muss man wohl sagen, dass ich es rechtzeitig nach Hause geschafft habe“, erklärt die gebürtige Stuttgarterin und klingt dabei erleichtert. Die Gesundheit stehe schließlich über allem, sagt sie. Dennoch empfand Catharina Weiß die Nachricht vom Saisonabbruch wenige Tage vor dem großen Meisterschaftsfinale wie ein Schlag ins Gesicht.
2020 sollte ihr großes Jahr werden: Paralympics-Traum und das Abenteuer Amerika
2020 sollte schließlich ihr großes Jahr werden. Im August wollte sie sich ihren großen Traum von den Paralympics erfüllen. Davor das Abenteuer Amerika. Wenn die Universitäten in den USA ihre College- und Uni-Sieger ausspielen, ist das alljährlich ein großes Spektakel. Weiß, die im vergangenen August in Alabama ihr Studium begann, war voller Vorfreude. Zum Abschluss wollte sie noch den legendären „Springbreak“ miterleben, den Start der Semesterferien, den die Studenten gerne mit ausgiebigen Feiern einläuten – bevor sie sich dann ganz ihrer Vorbereitung auf Tokio widmen wollte.
Die Paralympics in diesem Sommer wären ihre ersten Spiele gewesen. Doch das Coronavirus durchkreuzte ihre Pläne und die paralympische Premiere muss warten. „Wir bekamen irgendwann die Info, dass die Uni nur noch online lehrt und aufgrund der Hallenschließungen vorerst kein Training stattfindet“, erinnert sich Weiß. „Damit wurde uns quasi nahegelegt, nach Hause zu fliegen, was auch sinnvoll war.“ In der Rückschau auf die vergangenen Wochen sei sie froh, daheim und noch dazu in Deutschland zuhause zu sein. „Ich halte den Kontakt zu meinem Trainer und bekomme mit, was in den USA gerade los ist.“
Zurück in Esslingen sei sie in einer Stadt angekommen, die wie ausgestorben war. „Das war schon komisch, denn in Amerika war das Virus bis dahin noch nicht so wirklich angekommen“, sagt Weiß. Persönliche Treffen und spezifisches Training waren zu diesem Zeitpunkt zwar schon nicht mehr möglich, doch die Paralympics in der japanischen Hauptstadt waren auch noch nicht abgesagt. Erst Wochen später gab es Gewissheit: Die Spiele werden um ein Jahr verlegt und finden laut Plan vom 24. August bis 5. September 2021 statt. „Das war die richtige Entscheidung, alles andere wäre verrückt gewesen“, entgegnet Weiß. Nichtsdestotrotz: „Auch wenn mir lange vorher rational klar war, dass die Verschiebung kommen würde, war das in dem Moment, als es feststand, schlimm für mich. Ich musste das erst einmal ein paar Tage sacken lassen. Denn die gesamte Planung war darauf ausgerichtet.“
Das Multitalent entschied sich für Rollstuhlbasketball: „Ich mag das direkte Duell und mich reizt der Teamgedanke“
Im Mai wollte sie aus Alabama zurückkehren, den Sommer hatte sich Catharina Weiß extra für die Paralympics-Vorbereitung freigehalten, für Trainingslager, deutsche Meisterschaften und einen Aufenthalt mit dem Nationalteam in den USA. „Das wäre bestimmt ein aufregender Sommer geworden“, fügt sie wehmütig an. Stattdessen geschlossene Hallen und Kontaktsperre. Für Mannschaftssportler wie Catharina Weiß eine entbehrungsreiche Zeit. „Ich vermisse dieses Teamgefühl“, sagt sie. Dieses Miteinander auf und neben dem Feld, das Tempo, das 1:1-Spiel – alles das, was schließlich ausschlaggebend dafür war, sich mit 14 Jahren endgültig für Rollstuhlbasketball zu entscheiden.
Davor war sie sozusagen als Multitalent unterwegs. Sie spielte nicht nur Rollstuhlbasketball, sondern fuhr auch hervorragend Monoski und hielt zwischenzeitlich vier deutsche Rekorde im Schwimmen. „Ich habe etwas gebraucht, um mich festzulegen“, erklärt die vielseitige junge Frau, die womöglich in allen drei Sportarten erfolgreich geworden wäre. Letztlich blieb sie beim Rollstuhlbasketball, das sie 2012 zum ersten Mal ausprobierte. „Mich reizt der Teamgedanke, außerdem mag ich das Duell und den direkten Kontakt zum Gegner.“
Auf dem Feld kennt Catharina Weiß kein Pardon. Sie spielt auf der Guard-Position, stellt Blocks, spielt Pässe, tut alles dafür, dass ihr Team punkten kann und besitzt eine gute Spielübersicht – mit ihrem ausgeprägten Ehrgeiz hat sie es geschafft, sich in einer männerdominierten Sportart zu behaupten. Vor ihrem Amerika-Aufenthalt spielte sie beim RSKV Tübingen in der 2. Bundesliga – in einer gemischten Mannschaft. „Mit Männern zu spielen, ist nicht so stressig“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. „Frauen spielen taktisch orientierter, Männer dafür schneller“, nennt sie als einen zentralen Unterschied. Ganz abgesehen davon habe sie durch das Spiel mit Männern eine gewisse Wettkampfhärte bekommen, von der sie in der Nationalmannschaft profitiert.
Seit 2017 ist sie dort Mitglied. Mit zarten 17 Jahren stieß sie zum Team und gewann auf Anhieb EM-Silber. Ein Jahr später folgte Bronze bei der Weltmeisterschaft, und mit dem erneuten dritten Platz bei den Europameisterschaften in Rotterdam 2019 qualifizierte sich Weiß mit dem deutschen Team zugleich für die Paralympics. „Dass wir anders als viele Sportler unser Ticket für Tokio bereits in der Tasche haben, lässt uns diese Corona-Krise etwas entspannter sehen“, sagt Weiß, die mit ihrer Mannschaft gezeigt hat, dass sie in der Weltspitze mithalten und gegen Nationen wie die Niederlande oder Großbritannien um die vorderen Plätzen mitspielen kann.
In Folge einer Krebserkrankung im Alter von zwei Monaten sitzt Weiß im Rollstuhl
Spezifisches Training ist momentan nur eingeschränkt möglich. An ausgewählten Tagen kann sie zu bestimmten Zeiten am Olympiastützpunkt in Stuttgart trainieren, der seit einigen Wochen wieder geöffnet hat. Auch die Basketballplätze im Freien waren lange geschlossen. Plötzlich kein Training mehr zu haben, sei ungewohnt gewesen, sagt Weiß, die dem Paralympicskader des Deutschen Behindertensportverbandes angehört. „Ich habe deshalb mein Gym zu Hause um ein paar Gewichte erweitert und versucht, ansonsten die freie Zeit für mich zu nutzen.“
In gewisser Weise gehöre sie mit ihrer inkompletten Querschnittslähmung zur Risikogruppe, erklärt die 20-Jährige. In Folge einer Krebserkrankung im Alter von zwei Monaten, die das Rückenmark angriff, sitzt sie im Rollstuhl. „Seit Corona meide ich Plätze mit vielen Menschen, nutze keine öffentlichen Verkehrsmittel und treffe Freunde nur auf Abstand.“ Ob die Saison im Herbst wieder starten kann, das vermag derzeit niemand verbindlich zu sagen. „Hoffentlich können wir im August ins Trainingslager, das wäre super“, hofft Weiß, die bis dahin versuchen will, einen Minijob zu finden, um eine Beschäftigung zu haben. Das restliche Semester in Alabama hat sie online zu Ende gebracht. „Vielleicht nutze ich auch die Chance und reise ein wenig innerhalb Deutschlands, so es denn möglich ist, und besuche Freunde.“ Schließlich ist es eher die Ausnahme, dass ein Leistungssportler einen gesamten Sommer frei und keine Wettkämpfe hat.
Je nach Entwicklung der Corona-Pandemie möchte Catharina Weiß unbedingt nach Amerika zurückkehren. „Ursprünglich war mein Plan, drei Jahre zu bleiben. Ich wollte eigentlich in den USA einen Abschluss machen. Doch dann kam Corona. Aufgrund der aktuellen Situation bin ich etwas im Zwiespalt, wie es weitergeht. Ich würde gerne nochmal mindestens ein Jahr dranhängen, wenn das möglich ist.“ Sollte es jedoch nichts werden mit einem erneuten Auslandsaufenthalt, müsste sich Catharina Weiß kurzfristig in Deutschland wieder einen Verein suchen. Doch das dürfte nicht lange dauern. Eine Spielerin ihrer Qualität wird gewiss nicht lange ohne Klub bleiben.