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Para Rudern: Vom Sachbearbeiter zum WM-Teilnehmer

Marc Lembeck arbeitet beim Deutschen Behindertensportverband, ab dem 25. August startet er bei den Weltmeisterschaften im Para Rudern – Fernziel ist die zweite Paralympics-Teilnahme
Para Rudern: Vom Sachbearbeiter zum WM-Teilnehmer
23. August 2019

Im März 2016 trat Marc Lembeck seine Tätigkeit beim Deutschen Behindertensportverband an, kümmerte sich fortan als Sachbearbeiter im Leistungssport um die Sportarten Para Tischtennis, Para Ski alpin, Para Segeln und Para Rudern. Jetzt reist er mit der Nationalmannschaft zu den Weltmeisterschaften im Para Rudern, die vom 25. August bis 1. September im österreichischen Linz stattfinden – und zwar als Athlet.

Diese Entwicklung hatte Marc Lembeck selbst nicht geahnt. Eigentlich hatte er seine Karriere als Leistungssportler 2013 beendet. Der 30-jährige Kölner war Leichtathlet, startete für Bayer Leverkusen und schaffte es 2008 sogar zu den Paralympics nach Peking. „Das war das Größte, was ich bislang erleben durfte. 70.000 Zuschauer im Stadion, das war unglaublich. Die Chinesen waren total begeisterungsfähig, jeder wollte plötzlich ein Foto machen“, erinnert sich der Lembeck, dessen Sehkraft erblich bedingt nur noch zwischen fünf und acht Prozent liegt. Die Spiele 2012 in London verpasste er, ein Jahr später hing der Sprinter die Laufschuhe an den Nagel.

„Die Paralympics 2008 in Peking waren das Größte, was ich bislang erleben durfte“

„Ich wollte den Fokus auf den Beruf legen. Die Stelle beim DBS war daher wie ein Sechser im Lotto für mich. Ich bin ja im Behindertensport zu Hause“, erklärt Lembeck. Zu den von ihm betreuten Sportarten zählt auch Para Rudern. „Ich wusste vorher gar nicht, dass es Rudern für Menschen mit Behinderung überhaupt gibt“, sagt der 30-Jährige lachend. Mit der Zeit reifte mit seinem besten Kumpel Dominik Siemenroth, dem eine Teilnahme an den Paralympics 2012 und 2016 als Leichtathlet und Sitzvolleyballer verwehrt blieb, ein etwas verrückter Plan: „Wir wollten eine paralympische Sportart finden, die wir gemeinsam betreiben können“, betont Lembeck. Doch viele Möglichkeiten gibt es da nicht für ein solches Sportler-Duo, einer mit Sehbehinderung, der andere mit Oberschenkelamputation.

Schließlich landeten sie beim Para Rudern. Und träumten von einer gemeinsamen Paralympics-Teilnahme. Zumindest in der Theorie kannte sich Marc Lembeck als Sachbearbeiter aus. Die Praxis folgte: Im April 2017 traten die beiden dem Ruder-Tennis-Hockey-Club Bayer Leverkusen bei und versuchten sich im Rudern. „Anfangs wussten wir nicht mal, wie man sich in ein Boot setzt“, berichtet Lembeck schmunzelnd und fügt an: „Wir sind mit unserem naiven Idealismus an die Sache herangegangen.“

Inklusive WM: Ruderer mit und ohne Behinderungen tragen Wettkämpfe parallel aus

Ein paar Hürden hatte das Duo zu bewältigen, doch sie hatten Blut geleckt. Sportlich sind die beiden ohnehin. „An der Kraft mangelt es nicht“, sagt Lembeck, „nur an der Technik hapert es noch.“ Ostern 2018 waren sie erstmals testweise mit der Nationalmannschaft im Trainingslager, sie steigerten das Pensum deutlich, arbeiteten professioneller – und erfüllten in diesem Jahr die Nominierungskriterien für die Weltmeisterschaften. Nach einem zwölftägigen Abschluss-Lehrgang reisten sie ins österreichische Linz, wo ab dem 25. August die Rennen beginnen. Übrigens inklusiv, denn die Para Wettkämpfe finden am gleichen Ort und zur gleichen Zeit statt wie die WM der Ruderer ohne Behinderung. „Das ist mega cool und zeichnet die Sportart aus. Dadurch wird es direkt ein Riesenevent für uns. Das wird beeindruckend mit den ganzen olympischen Athleten, mit denen ich auch schon bei Weltcups erste Kontakte geknüpft habe“, berichtet Lembeck.

Gemeinsam mit Siemenroth startet der 30-jährige Kölner im Zweierboot in der Startklasse PR3 M2- über 2000 Meter. Die bisherigen drei internationalen Wettkämpfe in 2019 verliefen für das Duo mit Höhen und Tiefen. „Wir sind noch zu sehr Schönwetter-Ruderer. Mit ungewohnten Bedingungen tun wir uns schwer“, sagt Lembeck. Entscheidend sei da so viel Wassertraining wie möglich, um die Technik zu verbessern. Weiteres Problem: Der Zweier ohne Steuermann ist nicht paralympisch. Für die Spiele kommt nur der gesteuerte Riemenvierer (PR3 Mix4+) in Frage, der sich aus zwei weiblichen und zwei männlichen Athleten zusammensetzt. So gibt es vier Kandidaten für zwei Plätze. „Derzeit haben Jan Helmich und Valentin Luz die Nase klar vorne“, sagt Lembeck, doch er fügt an: „Wenn wir nicht eine Chance sehen würden, dass wir es packen können, bräuchten wir den Aufwand nicht zu betreiben.“ Zumal Lembeck am Ergometer zuletzt bereits der Schnellste im Nationalteam war.

Der Traum von den Paralympics wurde zum Ziel: „Das ist Motivation pur. Wir werden richtig Gas geben“

So ist der Traum von den Paralympics längst zum Ziel geworden. „Tokio 2020 wird sehr ambitioniert“, weiß Lembeck, der ansonsten aber auch mit Paris 2024 liebäugelt. „Doch wir wollen unsere kleine Chance wahren und werden richtig Gas geben.“ Acht bis neun Einheiten machen Lembeck und Siemenroth pro Woche. Fast jeden Tag geht’s aufs Wasser, dazu Krafttraining, Stabilitätsübungen, Joggen. Trainiert wird auf der Regattabahn auf dem Fühlinger See in Köln, der WM-Strecke von 1998.

Ernährung und Lebensweise hat Lembeck umgestellt, andere Hobbies eingestellt. „Mein Tag besteht in der Regel aus Arbeit, Training und Schlaf. Mir war klar, worauf ich mich einlasse und ich habe mich bewusst wieder für den Leistungssport entschieden. Ich bin immer Sportler gewesen und mir macht das richtig Laune“, sagt der DBS-Mitarbeiter. So stelle sich auch nicht die Frage, ob er trainieren gehe oder lieber die Füße hochlege. „Ich möchte noch einmal an den Paralympics teilnehmen. Das ist Motivation pur.“

Als der damals 19-Jährige die Nachricht erhielt, dass er für die Spiele in Peking nominiert worden sei, konnte er es zunächst nicht begreifen. „Ich habe dann die Olympischen Spiele geguckt und es wirkte völlig surreal, dass ich in ein paar Wochen auch in diesem Stadion laufen werde. Völlig abgefahren.“ Lembeck, der sich im Paralympischen Dorf ein Zimmer mit dem kleinwüchsigen Speerwerfer Mathias Mester teilte, mit dem er in Leverkusen fünf Jahre in einer WG lebte, sprintete im „Vogelnest“ über 400 Meter deutlich zu einer persönlichen Bestzeit – und verpasste das Finale als Neunter nur hauchdünn. Vergessen wird er dieses Erlebnis dennoch nicht. Und Marc Lembeck will erneut zu den Paralympics. Diesmal als Ruderer. Am liebsten mit seinem besten Kumpel Dominik Siemenroth und schon in Tokio 2020. Dafür wird das Duo alles geben.