Zwischen 19:17 Uhr und 19:27 Uhr spielten sich in der La Défense Arena magische zehn Minuten ab: Zuerst schwamm Tanja Scholz auf den 150 Metern Lagen (SM4) zu Gold. Die ersten Spiele für Scholz – und direkt krönte sie sich zur Paralympics-Siegerin! Es war zudem nicht nur die erste Goldmedaille für die deutsche Mannschaft im Para Schwimmen, sondern auch das erste Gold für das gesamte Team D Paralympics. "Wir hatten mit Maurice Wetekam schon das erste Edelmetall überhaupt für Deutschland. Und jetzt haben wir auch noch die erste Paralympics-Siegerin – besser geht's nicht!", freute sich Bundestrainerin Ute Schinkitz.
Doch das war erst der erste Teil des Zaubers in den zehn Minuten kurz vor halb Acht am Sonntagabend: Josia Topf schlug auf den 150 Meter Lagen (SM3) ebenfalls als Erster an und zog damit direkt die zweite Goldmedaille für die deutschen Schwimmerinnen und Schwimmer an Land.
"Das macht mich richtig stolz"
"Es hat alles gepasst. Rücken ist immer beschissen, aber dann kam die Wende und Brust ging erstaunlich gut. Ich hatte Kraft und konnte gegenhalten. Ich habe die neben mir gesehen und wollte zeigen, was ich kann – und es hat gereicht", schilderte Scholz ihre Sicht des Finales. Das Rennen war die reinste Aufholjagd: Bei der ersten Wende war Scholz Vierte, nach 100 Metern immer noch Dritte. Auf den letzten 50 Metern, im Freistil, zog die Schwimmerin an und war nicht mehr zu halten. Nach2:51,31 Minuten brauchte die 40 Jahre Athletin vom PSV Neumünster für die 150 Meter Lagen – paralympischer Rekord! Dass sie wirklich die erste Medaille für Deutschland geholt hatte, war ihr nicht sofort bewusst: "Ich habe angeschlagen und gedacht, dass sie (Natalia Butkova) vorne ist. Dann habe ich gesehen, dass die gar nicht strahlt und damit habe ich es begriffen." Für die NPA-Athletin wurde es Silber.
Was hat das erste deutsche Gold für eine Bedeutung für Scholz? "Das ist relativ egal, ich freue mich vor allem für meinen Trainer, dass alles gepasst hat. Er war immer bei mir und hat mich nie im Stich gelassen. Ich hatte ein schweres Jahr und er hat immer gesagt, nimm dir die Zeit, werd gesund und dann kommst du wieder. Das macht mich richtig stolz."
"Ich dachte mein Leben wäre vorbei, jetzt sitze ich hier und habe Gold"
Immer mit an der Seite von Tanja Scholz: ihr Mann Björn, der ihr immer bei den Starts hilft. "Da waren so viele Entbehrungen drin, Björn hat seine Stelle reduziert, damit er mich immer zum Training begleiten kann und mit ins Trainingslager kommt und jetzt hat es sich hier gelohnt." In der Mixed Zone ging es äußerst emotional zu, Michael "Michi" Pechtl, Bundestrainer Analyse, der in den vergangenen Jahren viel mit Scholz zusammengearbeitet hat, schloss die Athletin in seine Arme. Zeitgleich umarmte Bundestrainerin Ute Schinkitz mit feuchten Augen Björn Scholz. "Vor vier Jahren war ich in der Klinik und dachte, mein Leben wäre vorbei. Jetzt sitze ich hier und habe Gold gewonnen, da kommen mir die Tränen", sagte die ergriffene Paralympics-Siegerin.
Der einzige Wermutstropfen nach den 150 Meter Lagen: Gina Böttcher, die erst am Vormittag eine persönliche Bestzeit geschwommen ist und diese im Finale nochmals unterbot (2:57,44 Minuten) fehlten am Ende 18 Hundertstel auf die Brasilianierin Lidia Vieira da Cruz, die Bronze gewann.
"Ich habe mich jedes Mal zurückgekämpft"
Ein ähnliches Wechselbad der Gefühle stellten auch die 150 Meter Lagen (SM3) von Josia Topf dar: Nach den ersten 50 Meter (Rücken) war der 21 Jahre alte Erlanger Erster, doch auf den zweiten 50 Metern überholten ihn die beiden Australier Ahmed Kelly und Grant Patterson. "Die ersten 50 Meter waren sehr schnell, ich bin gut in den Rhythmus gekommen. Bei der Wende zu Freistil habe ich gesehen, dass die näher sind als gedacht. Dann musste ich konzentriert bleiben, auf die Technik achten und gut durchgehen. Das habe ich gut hinbekommen. Letzte 50 Meter bin ich Vollgas gegangen, bis zum Herzinfarkt hab ich Gas geben. Die letzten 25 Meter war ich damit beschäftigt, Kelly irgendwie einzuholen."
Dass ihm dies gelungen war, sah Topf im Ziel erst mal nicht und fragte deswegen bei seinem Freund Patterson nach, wer das Ding denn jetzt gewonnen habe. Der Australier entgegnete im Wasser trocken: "You!" Topf überflügelte Patterson, der am Ende Bronze holte, sowie Kelly, der zu Silber schwamm. 3:00,16 Minuten brauchte der Deutsche – persönliche Bestleistung für den Jurastudenten, der in den vergangenen drei Jahren einige Schicksalsschläge verkraften musste: "Da ist sehr viel Schlechtes und Hartes passiert, wo ich nicht wusste, wie ich damit umzugehen habe. Aber ich habe mich jedes Mal zurückgekämpft. Sei es mit der Erkrankung letztes Jahr, 2022 ist überraschend mein Opa gestorben, was mir auch sehr weh getan hat. Ein Jahr später ist mein Hund gestorben, also sehr viele Todesfälle in den letzten Jahren. Da rauszukommen und fokussiert zu bleiben für den Sport, war sehr, sehr viel. Es waren sehr harte Jahre für mich und meine Familie. Jetzt so rauszukommen und diesen Erfolg zu feiern, bedeutet mit sehr, sehr viel. Es ist jetzt nicht so, dass das die letzten drei Jahre gutmacht oder die Belohnung dafür ist. Aber es ist schon einfach großartig."
Morgen geht es für Topf auf die 50 Meter, die bei den Lagen schon sehr ansehnlich waren: "Rücken lief extrem gut. Da haben wir ein paar Sachen geändert im Trainingslager, haben den Schwerpunkt etwas tiefer gesetzt. Das ich nicht wie ein Zitteraal oder ein Klappmesser schwimme, sondern schön in der Wellenbewegung. Das hat heute ganz gut geklappt. Ich hoffe, dass ich das morgen auch ins Wasser bringe." Das Ziel von Topf ist es, Bestzeit zu schwimmen. "Was dann damit einhergeht, schauen wir mal."
Schott: Jeden Tag ein bisschen besser
Nach zwei Rennen in Paris, in denen sich Verena Schott wegen eines Atemwegsinfekts in der Vorbereitung noch nicht in Topform wähnte, konnte sich die Athletin vom BPRSV Cottbus am Sonntag wieder besser fühlen: „Körperlich habe ich mich heute besser gefühlt. Ich merke, dass es nicht anstrengend war, dass ich locker flockig geschwommen bin und jetzt muss ich überlegen, wie es schaffe, mehr Druck ins Wasser reinzukriegen“, sagte Schott nach ihren 1:53,87 Minuten auf den 100 Meter Brust (SB5).
Das Wasser in der La Défense Arena bekam Schott im Endlauf dann deutlich besser in den Griff, steigerte ihre Zeit aus dem Vorlauf nochmals um vier Sekunden und schlug nach 1:49,35 Minuten als Fünfte im Ziel an.