Großer Jubel im Londoner Olympiastadion am dritten Wettkampftag der Para-Leichtathletik-WM: In nur 51 Minuten gab es für die Deutsche Paralympische Mannschaft einen ganzen Medaillensatz. Erst sprintete Johannes Floors zu Silber, dann kämpfte sich Irmgard Bensusan zu Gold und schließlich überraschte Alhassane Baldé mit Bronze.
Irmgard Bensusan sank nach ihrem 400-Meter-Finale der Klasse T44 im Ziel erschöpft zu Boden, vergrub ihr Gesicht in den Händen und lag eine Weile auf der Tartanbahn, bis ihre Konkurrentinnen kamen, um sie zu beglückwünschen. In 1:02,33 Minuten hatte die 26-Jährige vom TSV Bayer 04 Leverkusen die Italienerin Federica Maspero und die Spanierin Sara Andres Barrio um mehr als eine halbe Sekunde distanziert, nachdem sich die dreifache Silbermedaillengewinnerin von Rio noch bei den Paralympics gegen die Französin Amelie Le Fur das Nachsehen hatte.
Nun jubelte sie nach ihrem Kraftakt über ihr erstes WM-Gold. Dabei war die Vorbereitung auf die Wettkämpfe in London nicht einfach. „Ich war die ganzen letzten Wochen verletzt und wusste nicht, ob ich überhaupt laufen kann. Das war eine große Überraschung, es war unglaublich“, sagte die gebürtige Südafrikanerin und von der Stimmung im Stadion mächtig beeindruckt war: „Es waren so viele Leute da, ich hatte fast Angst und wollte einfach laufen.“ Bereits am Montag hat sie über die 100 Meter die nächste Medaillenchance, gibt sich aber zurückhaltend: „Nach der Verletzung muss ich schauen wie es geht, ich hoffe, dass ich schnell laufen kann.“
Johannes Floors: Silber hinter Publikumsliebling Peacock
Die volle Dröhnung britischer Jubelstimmung bekam Johannes Floors über 100 Meter der Klasse T44 ab, als er Silber gewann. Der 22-Jährige vom TSV Bayer 04 Leverkusen war mit Publikumsliebling Jonnie Peacock im Vorlauf und im Finale und musste sich dem Briten jeweils mit 10,89 Sekunden knapp geschlagen geben. Bronze ging an Jarryd Wallace aus den USA.
Das breite Grinsen konnte er kaum noch zurückhalten: „Es ist gigantisch, vor so einer Menge zu laufen. Das hat man bei uns im Para-Sport selten und das pusht einen immens.“ Auf das 400-Meter-Rennen am Montagabend angesprochen sagte der Athlet von Karl-Heinz Düe: „Das Treppchen sollte dabei sein, aber nach diesem Erlebnis über 100 Meter kann das nur gut werden.“ David Behre hatte am Mittag „schweren Herzens“ verletzungsbedingt die WM abgesagt: „Meine Muskelprobleme haben mir in den letzten Tagen wieder schlimmer zu schaffen gemacht.“
Alhassane Baldé: Bronze dank starkem Zielsprint und „Gänsehaut-Feeling“
Eine Überraschung gelang Alhassane Baldé mit Bronze über 1500 Meter der Klasse T54. Schon am Vormittag im Vorlauf hatte sich der 31-Jährige im Zielsprint auf Rang drei geschoben, im Finale lief es ähnlich. Nur der Schweizer Marcel Hug und der Tunesier Yassine Gharbi waren schneller. In 3:04,61 Minuten fehlten Baldé sogar nur drei Hundertstel zu Silber. Für den Rennrollstuhlfahrer der SSF Bonn ist es der größte Erfolg und die erste internationale Medaille, nachdem er 2004 in Peking sein Paralympics-Debüt gegeben hatte.
„Ich habe auf keinen Fall damit gerechnet, nicht nach dieser Vorsaison. Ich hatte Anfang des Jahres eine komplizierte Rückenverletzung und konnte zwei Monate nur alternativ trainieren“, sagte der Athlet von Alois Gmeiner, dessen Ziel eigentlich die Finalteilnahmen über 800, 1500 und 5000 Meter waren. „Dass es jetzt geklappt hat, muss ich erst verarbeiten und genießen, denn so häufig passiert das nicht bei einer WM – und schon gar nicht in London.“ 2012 hatte er bei den Paralympics „nicht das Vergnügen“ zu starten, umso mehr freute er sich, das „Spektakel“ nun spüren zu dürfen: „Zu erleben, dass der Parasport behandelt wird wie nichtbehinderter Sport, ist gigantisch. Das war Gänsehaut-Feeling.“
Damit hat das deutsche Team von Bundestrainer Willi Gernemann nach drei von zehn Wettkampftagen einmal Gold, dreimal Silber und einmal Bronze auf dem Medaillenkonto. Der Montag könnte aus deutscher Sicht zum Jubeltag werden. Am Abend wollen unter anderem Martina Willing (Speer), Léon Schäfer (100 Meter), Irmgard Bensusan (100 Meter), Markus Rehm (Weitsprung), Alhassane Baldé (800 Meter), Sebastian Dietz (Kugelstoßen), Mathias Mester (Speer) und Johannes Floors (400 Meter) um Edelmetall kämpfen. Die Para-Leichtathletik-WM in London ist mit rund 1100 Athletinnen und Athleten aus 95 Nationen und über 280.000 verkauften Tickets das bisher größte Event im Para-Sport neben den Paralympics.