Reno Tiede steht mitten in der Future Arena in Rio de Janeiro. Die Ränge sind leer. Nur seine Teamkollegen der deutschen Goalball-Nationalmannschaft und einige Volunteers befinden sich in der Halle. Es ist die erste und einzige Trainingseinheit in der Arena, in der bei Olympia Deutschlands Handballer Bronze gewannen. Bei den Paralymics kämpfen hier die Goalballer ab dem 8. September um Medaillen. „Das Flair, die Größe – es ist absolut beeindruckend hier. Sonst herrscht bei unseren Spielen ja eher Turnhallen-Feeling, jetzt ist es etwas ganz Besonderes. Das toppt alles. Wir hoffen auf volle Ränge“, berichtet Reno Tiede.
Einmal an den Paralympischen Spielen teilzunehmen – diesen Traum hat der sehbehinderte Athlet aus Rostock bereits seit vielen Jahren. 2007 wurde Tiede U19-Weltmeister, 2008 war er bei den Spielen in Peking. Allerdings nicht als Aktiver, sondern mit dem Jugendlager. „Es war ein gigantisches Ereignis. Das wollte ich unbedingt auch als Athlet erleben“, sagt der 26-Jährige. 2012 verpasste Deutschland die Teilnahme an den Spielen. Die Qualifikation für Rio de Janeiro war unerwartet. Lange mussten Tiede und Co. bangen, umso größer war die Freude, als feststand: Die deutschen Goalballer sind erstmals seit 2004 wieder bei den Paralympics dabei und dürfen in den Flieger nach Brasilien steigen.
Jetzt schlendert Reno Tiede durch das Paralympische Dorf. Saugt diese spezielle Atmosphäre auf. Und lebt gerade seinen großen Traum. Er sagt selbst über sich: „Ich bin sicher nicht der talentierteste Goalballer – dafür aber einer der ehrgeizigsten.“ Tiede bringt seine ganz eigenen Qualitäten mit ins Team ein. Er zeigt stets vollen Einsatz. Ist der Motivator. Der Motor der Mannschaft. Und der Lernbeauftragte. „Ich sorge dafür, dass wir das, was uns das Trainerteam an Informationen zur Verfügung gestellt hat, in und auswendig können. Wir müssen unsere Konkurrenten bis ins kleinste Detail studieren. Gerade Gegner wie Algerien oder Kanada, die wir noch nicht so gut kennen“, erklärt der Rostocker. So wird mal gemütlich am Pool „gelernt“, mal aber auch spielerisch unter Zeitdruck abgefragt. „Die Jungs brauchen Abwechslung“, sagt Tiede lachend und ergänzt: „Hauptsache, wir haben alle Informationen im Kopf.“
Der 26-Jährige überzeugt eben nicht nur auf dem Spielfeld mit Engagement. Ihm liegt die gesamte Sportart am Herzen. In Kooperation mit Hansa Rostock hat Tiede 2014 den Rostocker Goalball Club Hansa gegründet. „Wir versuchen dort, etwas aufzubauen. Rostock ist ein guter Standort“, sagt er. Und hat auch die nationalen Strukturen im Blick. 2012 hat er mit zur Gründung der Goalball-Bundesliga beigetragen. Diese Nachhaltigkeit ist ihm wichtig für die zukünftige Entwicklung der traditionsreichen Sportart für Menschen mit Sehbehinderung, die bereits seit 1976 paralympisch ist. „Es ist eine intensive Sportart, in der es hin und her geht“, betont Tiede. Es stecke sehr viel dahinter, so viele verschiedene taktische Elemente.
Der nötige Einsatz, die richtige Taktik und das Detailwissen sollen auch dazu beitragen, dass Deutschlands Goalballer bei den Paralympics möglicherweise für eine Überraschung sorgen. Das Ziel ist das Viertelfinale. Mindestens. Dem Zufall überlassen wurde jedenfalls nichts. Sogar der Rio-Boden wurde in der Trainingshalle in Marburg verlegt, um das Sprungverhalten des Balles zu simulieren. „Das hat geholfen, damit wir eine Ahnung bekommen, was uns in der Future Arena erwartet“, erklärt Tiede.
In der Gruppenphase stehen Duelle mit Algerien, Kanada, Schweden und Gastgeber Brasilien auf dem Programm. Der Auftakt steigt am kommenden Donnerstag um 13.15 Uhr. Auf der Tribüne wird dann ein ganz spezieller Fanclub sitzen. 15 Kinder und vier Erzieherinnen der Kindertagesstätte Santa Clara aus der Favela Vidigal haben ihre Unterstützung angekündigt. Es handelt sich um ein Wiedersehen. Denn die Goalballer haben kurz nach ihrer Ankunft die <link https: deref-web-02.de mail client dereferrer _blank> Kindertagesstätte vor Ort besucht, für die sie bereits seit Juni im Rahmen des Aktionsbündnisses „Rio bewegt. Uns“ Spenden sammeln. Es waren bewegende und prägende Begegnungen, die Spuren hinterlassen haben. Aufregende Stunden mit großer brasilianischer Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit. Doch auch ungewohnte Einblicke in ein Leben, das man sonst nur aus dem Fernseher kennt: ein Armenviertel mit heruntergekommenen, kleinen Häusern, großem Trubel und ganz einfachen Verhältnissen. Nun folgt das Wiedersehen. In der Future Arena im Olympic Parc.