Olympiasiegerin Kristina Vogel erzählt über ihr Leben im Rollstuhl und warum sie nicht nach Tokio will
Zuletzt stellte Sportartikelhersteller „Adidas“ die Bekleidung in Kreuzberg vor, die die Sportler vom Abflug in Deutschland bis zu ihrer Rückkehr von den Olympischen Spielen in Tokio tragen werden. Auch die zweimalige Olympiasiegerin im Bahnradfahren, Kristina Vogel, 30, kam, um sich die neue Kleidung anzusehen. In Tokio ist sie als Moderatorin dabei.
Frau Vogel, ist das ein spezieller Rollstuhl, in dem Sie sitzen?
Nein, das ist ein Alltagsrollstuhl, da habe ich vorne noch ein Rad dran gemacht, sonst hätte ich keinen Spaß auf der Strecke.
Sonst wäre es schwierig für Sie auf den Berliner Gehwegen?
Dann würde ich mich ständig verfangen und müsste angekippelt fahren.
Sie sind bei den Olympischen Spielen in Tokio als Fernseh-Moderatorin dabei.
Es ist schön, dass der Traum von Tokio weitergeht, aber auf eine andere Art und Weise. Ich fahre, um das Bahnradevent zu kommentieren und vorher bin ich so eine Art Olympiaexpertin. Ich weiß, wie sich die Emotionen anfühlen, Freud und Leid, alles zu einer Zeit, das kann ich vermitteln. Es ist toll, dass Leistungssport so irrsinnige Emotionen hat. Jeder kann das nachvollziehen.
Olympia wird immer wieder prinzipiell in Frage gestellt. Wie sehen Sie das?
Ich finde, dass es Olympia braucht. Klar ist das sehr viel Geld. Aber ich sehe das gerade an Erfurt, meiner Heimatstadt. Dort findet gerade die Bundesgartenschau statt, das kostet viel Geld und es gibt viel Förderung, aber man hat die Möglichkeit, die Stadt richtig aufzuhübschen und Dinge, die liegengeblieben sind, zu sanieren.
Und der sportliche Aspekt?
Ich bin der festen Überzeugung, dass der Leistungssport und Sport allgemein unheimlich wichtig für die Gesellschaft sind. Für mich verändert Sport die Welt. Erst einmal brauchen wir die Vorbilder, denen wir nacheifern können. Und zweitens, gibt es im Sport kein arm, kein reich, kein schwarz, kein weiß. Man lernt so viele gesellschaftliche Attribute beim Sport kennen, wie das Gewinnen und Verlieren. Am Ende ist es doch schön, wenn ich weiß, dass mein Kind zwei Stunden auf dem Sportplatz ist, statt irgendwo auf der Straße Unsinn zu machen.
Wir kommen auf zur Oberbaumbrücke, Kristina Vogel muss sich anstrengen, um die Steigung zu nehmen. Wahrscheinlich haben Sie inzwischen kräftige Armmuskeln entwickelt, oder?
Ich könnte hier geschmeidiger hochrollen, wenn ich noch ein paar Bauchmuskeln hätte, die mir helfen. Habe ich aber nicht, deswegen geht es ein bisschen langsamer.
Wie wichtig ist Ihnen das Thema Inklusion eigentlich als Politikerin?
Ich hatte schon früher paralympische Freunde, aber ich hatte in meinem Kreis keine Rollstuhlfahrer. Ich war zwar offen, aber nicht aufgeklärt. Als ich verunglückt bin, war schon die Frage: Warum weiß ich so wenig darüber? Wenn wir uns nicht gegenseitig erleben, weil es dazu keine Möglichkeiten gibt, dann können es die Menschen nicht besser wissen und parken auf Behindertenparkplätzen oder machen schlechte Städteplanung. Es ist eine Mischung aus einer Politik, die die Gesetze endlich mal anwenden muss und Möglichkeiten schafft, dass man aufeinander zukommt und einander zuhören muss.
Jetzt erreichen wir die erste Station, hier kann man mit Hilfe einer App, die Kollektion der Athleten digital anschauen. Das klappt nicht auf Anhieb, aber Kristina Vogel versucht es so lange, bis sie die Bilder auf ihrem Handy hat. Man merkt Ihnen den sportlichen Ehrgeiz an, Frau Vogel.
Das geht im Leben nicht weg. Man tut immer so gelassen, aber wenn ich merke, etwas klappt nicht sofort, werde ich zum Wildschwein.
Das haben Sie auch in ihrem Buch geschrieben, dass es für Sie keine Option war, einfach so bei den Olympischen Spielen mitzumachen. Für viele wäre das Ehre genug, oder?
Aber die werden am Ende nicht Olympiasieger. Letztendlich ist es ein wahnsinnig erlesener Kreis, der Olympiasieger werden kann. Und es ist einfach schön, wenn die Athleten ihre Bestleistung absolvieren können. Ob es am Ende zu Gold reicht, was man ja nicht.
Sie haben für sich die Entscheidung getroffen, keine Para Sportlerin zu werden. Warum?
Ich sag’ ja niemals nie, aber ich habe das jetzt 18 Jahre lang gemacht und ich weiß, was notwendig ist, um Gold zu gewinnen. Man sollte nur etwas machen, wenn man für etwas brennt, nur dann ist man bereit dafür jeden Tag 110 Prozent zu geben. Das musst du einfach, wenn du Olympiasieger werden willst. Für mich ist Bahnradfahren immer noch die geilste Sportart, wie Achterbahn fahren und Schach in einem. Wenn ich eine Sportart finde, die ich genauso geil finde, dann mache ich das auch. Dabei bin ich nur durch einen Zufall zum Radsport gekommen. Früher habe ich auch getanzt. Dann überschnitten sich die Trainingszeiten. Ich konnte mich nicht entscheiden, also habe ich eine Münze geworfen und es war Kopf – Radsport.
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Das Gespräch führte Grit Thönnissen.
Kristina Vogel, 30, ist zweimalige Olympiasiegerin im Bahnradfahren. Seit einem Trainingsunfall 2018 ist sie von der Brust an querschnittsgelähmt.
Quelle: Tagesspiegel