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„Dreimal Training pro Woche reicht nicht aus“

Ein Interview mit Schwimm-Bundestrainerin Ute Schinkitz über den schwierigen Umbruch, Veränderungen in der Nationalmannschaft und den Wunsch nach besseren Strukturen und neuem Nachwuchs.

Autor: Wilhelm Seibert
5 Minuten Lesezeit veröffentlicht am 23. Februar 2017

Die Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro verliefen für Deutschlands Schwimmerinnen und Schwimmer nicht wunschgemäß. Drei Medaillen holte das Team von Bundestrainerin Ute Schinkitz – eine Bilanz, die einige Schwierigkeiten aufzeigt: die Strukturen in Deutschland haben Optimierungsbedarf, qualitativ guter Nachwuchs ist schwer zu finden und das weltweite Niveau steigt seit Jahren immer weiter. Hinzu kommt die internationale Baustelle der Klassifizierung im Schwimmen. Ute Schinkitz spricht zu Beginn des WM-Jahres über Probleme und Hoffnungen sowie personelle Veränderungen in der Nationalmannschaft.


Die Paralympics in Rio liegen einige Monate zurück, mit welchen Gedanken blicken Sie nach etwas Abstand auf die Spiele?

Schinkitz
: Natürlich hatten wir uns mehr als drei Medaillen erhofft, doch wir wussten im Vorfeld, dass wir es aus unterschiedlichen Gründen schwer haben werden. Die Sportler haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten überwiegend gute Leistungen gebracht, einige sind pünktlich zum Höhepunkt neue Bestzeiten geschwommen, 12 von 13 Athleten haben das Finale erreicht. Von daher war es längst nicht ausschließlich frustrierend, sondern wir hatten auch sehr schöne Momente. Bei unserem Rio-Team müssen wir nur an einzelnen Stellschrauben drehen. Wir wissen, wo wir ansetzen müssen.


Und woran genau?

Schinkitz:
Beispielsweise war Elena Krawzow in sehr guter Form, bei ihr war es im entscheidenden Moment Kopfsache und wir müssen an der mentalen Stärke arbeiten. Generell wollen wir mit Blick auf die Trainingspläne noch individueller auf unsere Athleten eingehen. Hinzu kamen einige gesundheitliche Probleme. Daniela Schulte hätte ohne ihre Infektionen im direkten Vorfeld und auch vor Ort auch sicher Medaillen gewonnen. Sie ist drei Monate vor den Spielen Zeiten geschwommen, die für Edelmetall gereicht hätten, doch sie war in Rio geschwächt.


Wird sich das Gesicht der Nationalmannschaft verändern?

Schinkitz:
Christoph Burkard und Sebastian Iwanow, der schon in Rio verletzungsbedingt nicht dabei war, werden aufhören. Daniela Schulte wird mit ihren anhaltenden Schulterproblemen nach längerer Pause nun wieder einen Versuch starten und es probieren – dann werden wir sehen, ob und wie es für sie weitergeht. Daniela kommt für die WM in Mexiko im Herbst (29. September bis 7. Oktober) aber ebenso wenig in Frage wie Annke Conradi, Niels Grunenberg und auch Torben Schmidtke, der aus medizinischen Gründen bedingt durch sein Handicap pausieren muss. Daniel Simon wird seinen Schwerpunkt auf die berufliche Entwicklung legen, will das Training jedoch fortsetzen und von Jahr zu Jahr entscheiden. Dafür planen Maike Naomi Schnittger, Denise Grahl, Elena Krawzow, Verena Schott, Emely Telle und Janina Breuer fest für die Weltmeisterschaften und haben auch Tokio 2020 im Blick – wohlwissend, dass es noch mehr als dreieinhalb Jahre bis dahin sind.


Die Nationalmannschaft befindet sich im Umbruch. Werden auch jüngere Talente nachrücken?

Schinkitz
: Der Umbruch hat schon vor einigen Jahren begonnen. Es ist auch aufgrund der Weiterentwicklung weltweit längst nicht mehr selbstverständlich, ein schlagkräftiges Team an den Start zu schicken, das viele Medaillen mit nach Hause bringt. Mit Hannes Schürmann und Janina Breuer hatten wir bereits in Rio sehr junge Athleten dabei, auch Adam Karas (15) und Taliso Engel (14) wollen sich gerne für die kommende WM qualifizieren, wobei es nicht einfach wird, die erforderlichen Normen zu schwimmen. Die Messlatte ist immerhin Platz zehn der Weltrangliste. Im Berliner Schwimmteam haben wir ebenfalls weitere aussichtsreiche Nachwuchsathleten wie Lea Stengel oder Simon Prodanovic. Doch wir müssen die Quantität und Qualität in der Grundausbildung unbedingt weiter verbessern, wenn wir international Schritt halten wollen. Wenn in jüngeren Jahren die Basis fehlt, ist das kaum noch aufzuholen.


Was kann man sich denn vom Nachwuchs künftig erhoffen?

Schinkitz
: Wir haben Dank des Engagements auch unseres Nachwuchsbeauftragten Lukas Niedenzu inzwischen wieder mehrere junge Schwimmerinnen und Schwimmer in der Breite. Doch die Schwierigkeit ist eben, dass diejenigen auch das Niveau erreichen, dass man heutzutage benötigt, um international mithalten zu können. Es reicht nicht aus, dreimal pro Woche zu trainieren, wenn man erfolgreich sein will. Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Viele Talente bleiben auch auf der Strecke, weil sie nicht bereit sind, das enorme Trainingspensum zu stemmen oder andere Interessen bekommen – da gibt es keinen Unterschied zwischen Sportlern mit und ohne Behinderung. Dabei sind die Paralympics ein Riesenerlebnis. Wer einmal dabei war, der weiß, dass sich die harte Arbeit lohnt.


Worauf kommt es in der Entwicklung an?

Schinkitz
: Die Sportler müssen Bedingungen haben, um möglichst professionell Leistungssport betreiben zu können – sowohl mit Blick auf den Nachwuchs als auch auf die Nationalmannschaft. Die Vereinbarkeit von Schule bzw. Studium oder Beruf und Leistungssport ist da von sehr großer Bedeutung. Doch nicht jeder talentierte Schwimmer verlässt in jungen Jahren sein Elternhaus und seine Schule, um woanders noch bessere Bedingungen zu haben. Das ist menschlich nachvollziehbar, nur dann wird es eben schwierig. Wir brauchen somit die Bereitschaft der jungen Athletinnen und Athleten sowie auch die Unterstützung von Eltern und Trainern. Ohne geht es nicht. Allerdings bereitet uns die Trainersituation gerade Bauchschmerzen.


Inwiefern?

Schinkitz
: Wir benötigen gerade an unseren Paralympischen Trainingsstützpunkten gut ausgebildete Trainer, die die Athleten voranbringen. Nur kann man diese nicht finden bzw. halten, wenn viele Hürden im Weg stehen und der finanzielle Bereich nicht geklärt ist. Von den Trainern wird verlangt, dass sie täglich Optimismus verbreiten und die Athleten voranbringen – allerdings durchleben sie selbst immer wieder große Unsicherheiten, die an die Substanz gehen. Erfreulich ist hingegen, dass in Bayern Schwimmen nun zu den Schwerpunktsportarten gehört und es bald einen hauptamtlichen Landestrainer geben wird. Das ist nach einem längeren Prozess ein schöner Erfolg, zeigt aber auch, dass wir hinsichtlich unserer Struktur noch viel Arbeit vor uns haben.


Das hat auch das Internationale Paralympische Komitee (IPC) mit Blick auf die Klassifizierung, also der Zuteilung zu den verschiedenen Startklassen anhand der jeweiligen Einschränkungen, nachdem bei den Spielen in Rio einige Probleme offensichtlich wurden.

Schinkitz
: Das IPC hat signalisiert, dass sich etwas ändern soll – das hat es aber bereits vor einigen Jahren schon und passiert ist bisher nichts. Wir würden uns wünschen, dass die Klassifizierung mehr kontrolliert und auch überprüft wird. Das ist das Minimum. Wir hoffen sehr, dass es nicht erst nach den Paralympics in Tokio zu Veränderungen kommt. Daher werden wir prüfen, was wir tun können – auch mit Unterstützung des Deutschen Behindertensportverbandes, der den Bereich der Klassifizierung bald hauptamtlich abdeckt.


Im Herbst steht die Weltmeisterschaft in Mexiko an. Was sind die Erwartungen?

Schinkitz
: Wir werden wohl nur mit einem sehr kleinen Team nach Südamerika reisen. Bei den Paralympics in London waren wir noch 21, in Rio 13 – aktuell planen wir mit rund acht Athletinnen und Athleten. Darunter aber einige, die nicht nur teilnehmen, sondern auch eine Medaille mitnehmen wollen. Zudem gibt es in diesem Jahr eine Premiere. Das IPC möchte eine Weltcup-Serie mit mehreren Stationen etablieren, dazu zählen auch unsere Internationalen Deutschen Meisterschaften in Berlin im Juli. Eine gute Entscheidung, über die sich unser Team freut.