Paralympisch leben

Anas Al Khalifa: Endlich angekommen

Der Kanusport hat ihm neuen Mut gegeben, seine Lebensfreude ist zurück: Seit einem Arbeitsunfall im Jahr 2018 sitzt Anas Al Khalifa im Rollstuhl. Durch den Sport kämpft er sich wieder ins Leben. Der Lohn: die Teilnahme an den Paralympics 2021 in Tokio, damals noch als Teil des Flüchtlingsteams. Kürzlich hat der 30-Jährige die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, nun steht er vor der nächsten großen Herausforderung. Vom 23. bis 27. August finden in Duisburg die Weltmeisterschaften im Para Kanu statt – und Al Khalifa kämpft um einen Quotenplatz für die Paralympics in Paris 2024.
Anas Al Khalifa: Endlich angekommen
Anas Al Khalifa Foto: Florian Schwarzbach / DBS
16. Januar 2024

„Kampf“ ist ein entscheidendes Stichwort in Anas Al Khalifas Leben, denn kämpfen musste er schon häufig in den vergangenen Jahren. In seiner syrischen Heimat musste er alles zurücklassen. Nach zwei Jahren in einem Flüchtlingslager floh er über die Türkei und Griechenland nach Deutschland. Eine waghalsige Reise, die 2016 schließlich ein sicheres Ende fand. Al Khalifa gewöhnte sich schnell an seine neue Heimat: Halle (Saale), die größte Stadt in Sachsen-Anhalt. „Ich habe die Sprache nicht gesprochen, doch direkt viele nette Leute kennengelernt, die mir bei der Eingewöhnungszeit geholfen haben“, erzählt er rückblickend.

Auch einen neuen Job hat er schnell gefunden. Doch dieser sorgte 2018 für den nächsten Kampf in seinem jungen Leben. Beim Installieren einer Solaranlage stürzte Al Khalifa vom Dach eines zweistöckigen Gebäudes und erlitt eine Querschnittlähmung. An den Unfall selbst erinnert sich der Athlet vom SV Halle kaum, an die folgende Zeit jedoch umso mehr. Er hatte mentale Probleme und mit seinem Leben abgeschlossen. „Ich war jung, konnte aber weder laufen noch arbeiten. Ich konnte einfach nichts machen. Das war eine sehr schwierige Zeit für mich“, berichtet Al Khalifa. Einen solchen Schicksalsschlag verarbeitet man nicht mal eben über Nacht. So hat es auch bei ihm gedauert, bis er wieder anfing, ein normales Leben zu führen.

Der Sport als Therapie

Geholfen hat Al Khalifa dabei der Sport. Zum Para Kanu ist er bereits kurz nach seinem Unfall gekommen, eine Physiotherapeutin im Krankenhaus hat ihm diesen Sport empfohlen. Der heute 30-Jährige absolvierte schon die ersten Testeinheiten im Boot mit großer Begeisterung, auch wenn zu Beginn noch nicht alles nach Plan lief: „Am Anfang konnte ich nur zehn Sekunden im Boot sitzen und bin danach sofort ins Wasser umgefallen. Wir haben viel daran gearbeitet, erst in der Schwimmhalle, danach auf der Saale. Als ich es dann geschafft habe, länger im Boot zu sitzen, habe ich direkt gesagt: Das macht mir so viel Spaß, da muss ich mich weiter verbessern“, sagt er. Und das setzte er beeindruckend in die Tat um. Zuerst waren es zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche, daraus wurden schließlich mehr und mehr. Schon nach zwei Monaten im Training hat er gemerkt, dass er mit reichlich Talent ausgestattet ist, was seinen Ehrgeiz nur noch steigerte. „Der Sport hat mir dabei geholfen, meinen Unfall zu verarbeiten und hat mir sogar ein ganz neues Leben geschenkt“, erinnert er sich.

Sein hohes Trainingspensum zahlte sich schnell aus. Für ihn völlig überraschend wurde er für die Paralympics 2021 in Tokio nominiert. Er startete in der japanischen Hauptstadt für ein Flüchtlingsteam, dabei wusste er bis kurz vor seiner Nominierung gar nicht, was die Paralympics überhaupt sind. „Als ich dann vor Ort war, habe ich die besten Sportler der Welt kennengelernt und viele neue Freunde gefunden. Das war ein Traum für mich“, berichtet er noch heute begeistert. Inzwischen weiß er natürlich ganz genau, welche Bedeutung die Paralympics haben. Die kommenden Spiele in Paris sind zwar noch ein Jahr entfernt, doch Al Khalifa richtet bereits seinen Fokus auf das Großereignis 2024: „Es ist auf jeden Fall ein Ziel von mir. Ich habe noch ein Jahr Zeit und muss gut trainieren. Ich fühle mich sehr gut und habe mich in den letzten Monaten enorm verbessert. Wenn ich jetzt noch ein Jahr trainiere, kann ich hoffentlich sogar an eine Medaille denken.“

Doch bevor es im kommenden Sommer nach Paris geht, steht erst einmal die Heim-WM auf der Agenda, die vom 23. bis 27. August in Duisburg stattfindet. Und auch für Al Khalifa ist es tatsächlich eine richtige Heim-WM, denn vor wenigen Wochen hat der Newcomer im Juli die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Er selbst könne das gar nicht so richtig in Worte fassen, was ihm das bedeute. Das bringt auch sportlich einige Vorteile: „Zum Beispiel kann ich zu Wettkämpfen oder ins Trainingslager ohne Visum fliegen“, sagt Al Khalifa. Die WM im vergangenen Jahr verpasste er auf tragische Weise: Er saß bereits abflugbereit am Flughafen auf dem Weg nach Kanada, doch ohne Visum durfte er nicht reisen. Alles war auf dieses Ereignis ausgerichtet – die schweißtreibenden Trainingseinheiten auf dem Wasser und im Kraftraum im Vorfeld. Der Lohn dafür blieb aus. Es war ein Schock.

Dieses Jahr soll sich das Training jedoch auszahlen. Mit dem eigenen Publikum im Rücken peilt Al Khalifa bei der WM einen Quotenplatz für die Paralympics in Paris 2024 an. Um diesen für Deutschland zu erreichen, muss er mindestens den sechsten Platz im Endlauf erreichen. Für Al Khalifa steht aber eine besondere Situation bevor: Bei der EM wurde er umklassifiziert und verpasste in seiner neuen, höheren Startklasse die Qualifikation für die WM in seinem einstigen Paradeboot, dem Kajak. In Duisburg startet er daher im Va´a, einem Auslegerboot, in der Klasse VL2. Er trainiert erst seit einigen Wochen in diesem Boot, doch der Quotenplatz ist trotzdem sein erklärtes Ziel. Dass er sich auch dieser Herausforderung stellt, zeigt einmal mehr seinen Willen und seine Bereitschaft, für Ziele zu kämpfen. Anas Al Khalifa ist endlich angekommen. Angekommen in Deutschland, seiner neuen Heimat. Angekommen im neuen Leben – mit dem Sport, der ihm so viel gibt.

Text: Simon Ommer / DBS